Website-Icon Jonathan Dilas – Schriftsteller, Blogger und Künstler

Abschied und Rückkehr – Der Rückblick

jonathan dilas - dream to reality abschied und rückkehr - 3

Abschied und Rückkehr – Der Rückblick

(Ein Traum wird zu einer Kurzgeschichte)

Die folgende Kurzgeschichte existierte zuerst als ein Traum. Die Länge des Traumes bot sich daher an, daraus eine Kurzgeschichte zu verfassen. So wird Dream to Reality, d.h. ein Traum zu einem Bestandteil der Alltagswelt…


Heute war die Nacht, in der ich diesen älteren Mann traf, den ich nun seit einiger Zeit kannte und von dem ich seit unserem ersten Treffen sofort intuitiv verstand, dass er von Dingen wusste, die sich jenseits unserer normalen Alltagswelt abspielten. Gewiss hatte ich meine Zweifel, die sich manchmal mit Zorn und unerklärlichen Gefühlswallungen demonstrativ in mein Bewusstsein schoben.

In anderen Momenten fühlte ich in seiner Gegenwart ein inneres Zittern oder Vibrieren, entsprechend einem unterschwelligen Hinweis aus unbestimmter Quelle, dass ich mich vorzusehen habe, so, wie wenn man die Empfindung besitzt, an der nächsten Ecke könnte eine Bedrohung hervorspringen. In einem dieser Momente fragte ich ihn einmal nach meinen Gefühlen ihm gegenüber und laut meines dortigen Zustandes antwortete er mit einem mörderischen Grinsen, seien dies meistens Reaktionen des rationalen Verstandes, der sich auf unterbewusster Ebene bedroht fühlte.

Ich brauchte längere Zeit, um zu verstehen, was er mit mir gemeint hatte, doch er gab mir etwas, das mir niemand anderes jemals hätte geben können. Er gab mir eine Perspektive auf mein Leben, die sich von allen anderen Perspektiven unterschied und allumfassend war. Sie erklärte so viele Dinge, die man gewöhnlich niemals miteinander in Beziehung setzen würde, so zusammenhängend und integrativ, aber auch mit verborgenem Witz ohnegleichen.

Viele seiner kleinen Randbemerkungen, die ich für Sprücheklopferei oder unbedachtes Kommunizieren interpretiert hatte, stellten sich später als fundamentale Hinweise dar, um mich auf bestimmte Situationen angemessen vorzubereiten. Ohne seine kleinen Kommentare und verkappten Hinweise wäre ich vermutlich in der nächsten Phase gescheitert und vor mir selbst davongelaufen. Doch folgten dann wieder Momente, in denen er mir so vertraut und freundlich erschien, dass ich ohne Bedenken mit ihm an jeden Ort dieser Welt gegangen wäre.

Nun war es mal wieder soweit. Wir hatten eine Verabredung und wollten uns an einer alten Burg treffen, die sich im Süden Deutschlands befand, in der Nähe des Rheins. Es war eine wunderschöne Strecke dorthin und die vielen Ruinen auf den Bergen schenkten der Landschaft eine mystische Atmosphäre.

Manchmal waberte der Nebel über den Baumgipfeln kleiner Wälder und Abhänge, sodass man sich für kurze Augenblicke in einen angenehmen Fantasy-Roman entführen lassen konnte, in dem langhaarige Ritter gegen unliebsame Gestalten kämpften oder Elfen einen an fremde Orte entführten, mit dunklen Zugängen und Höhlen, verborgenen Baumeingängen und magischen Kreisen. So manches Mal hüpft man mithilfe seiner Fantasie über die lang gewordene Zeit einer Fahrt hinweg.

»Ich freue mich, dass du gekommen bist«, sagte er zur Begrüßung und blickte mir tief in die Augen. »Es ist sehr wichtig.«

Wir umarmten uns kurz. Er hatte mir stets gesagt, das würde die Mauer zwischen uns ein wenig schwächen und ich würde dann nicht mehr so stark dazu neigen, ihn widersprüchlich zu betrachten.

»Worum geht es?«, fragte ich sofort, weil ich wusste, dass er es gern mochte, wenn man ohne Umschweife zur Sache kam.

»Hm, wie soll ich es dir sagen, ohne dass du wieder einen deiner Misstrauensanfälle bekommst …?«, meinte er hämisch grinsend und setzte sich auf eine Mauer, die Teil einer Treppe war, welche zu einem kleinen See in der Nähe der Burg führte.

Er machte es wieder einmal spannend und ich setzte mich neben ihn.

»Ich habe eine Frau getroffen, um die wir uns unbedingt kümmern müssen«, fuhr er fort.

Ich überlegte, ob dies seine Art war mir mitzuteilen, dass er sich frisch verliebt hatte.

Er grinste mich mit großen Augen an, als könnte er genau fühlen, was ich wohl in diesem Moment dachte. Ich verwarf den Gedanken wieder, dass er vielleicht unaufgefordert in meinen Gedanken stöberte. Immerhin befanden wir uns in einer Situation, in der dies nicht unbedingt schwer fiel.

»Ich habe lange überlegt, ob ich dir die ganze Geschichte erzählen soll, wer diese Frau ist und was es mit ihr auf sich hat, aber es gab auch niemanden, der mir davon erzählen konnte und aus diesem Grunde habe ich mich dazu entschlossen, dass du genau so vorgehst, wie ich es getan habe.«

In diesem Moment zog ich meine Augenbrauen zusammen.

»Denkst du denn, dass ich verstehen werde, worum es geht?«

Er lachte auf.

»Ganz bestimmt!«, rief er und boxte sanft gegen meinen Oberarm.

»Und wann geht es los?«, fragte ich ungeduldig.

Wenige Minuten später standen wir auf der vorderen Seite der Burg. Das große Burgtor befand sich unmittelbar vor mir und mit einem Kopfnicken deutete er an, dass ich nach oben zu den Türmen sehen sollte. In der Dämmerung nahm ich plötzlich eine Bewegung wahr. Auf dem linken Turm sah ich eine Frau, die durch die Zinnen zu uns herunterblickte.

»Das ist die Frau«, meinte er.

Sie trug eine normale Jeansjacke, soweit ich es von unten erkennen konnte, besaß braunes, schulterlanges Haar und ein schönes Gesicht. Plötzlich trafen sich unsere Blicke und trotz der Entfernung zueinander erkannte ich mit einem Mal, was es mit dieser Frau auf sich hatte!

Ganz deutlich konnte ich fühlen, dass sie kein Mensch war. Sie war somit aber keine Außerirdische von einem anderen Planeten, viel eher kam es mir so vor, als sei sie aus einer anderen Welt zu uns gelangt, doch ich fühlte gleichzeitig, dass sie nicht in unsere Welt gehörte. Ihre Erscheinung war natürlich menschlich und auf den ersten Blick wäre ihre wahre Herkunft niemandem aufgefallen, doch ein Blick in ihre Augen genügte wohlmöglich, um sie zu verraten.

Nun wusste ich, was mein Freund damit gemeint hatte als er sagte, ich sollte selbst erkennen, was es mit dieser Frau auf sich hat und dass er ebenfalls niemanden hatte, der ihm irgendwelche Erklärungen geliefert hätte. Ein Punkt stach besonders hervor, während sich unsere Blicke trafen: Ich wusste sofort, dass ich diese Frau mit allen Mitteln, und wenn nötig, mit meinem Leben schützen musste! Es war ein sonderbares Gefühl mit unerklärlicher Quelle, doch war es dermaßen deutlich, dass es keinen Zweifel daran gab.

»Hast du das Gleiche wie ich empfunden?«, fragte ich ihn.

»Worauf du dich verlassen kannst«, gab er bedächtig zurück.

Es fiel mir außerordentlich schwer, meinen Blick von ihr zu lassen. Er nahm mich bei den Schulten und drehte mich zu sich hin.

»Wir müssen diese Frau beschützen! Komme, was wolle.«

Ich nickte.

»Sie lebt schon seit einiger Zeit hier und es hat sich ein Kult gebildet, eine Art Sekte, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sie zu töten. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, aber vermutlich funktioniert der Augenkontakt mit ihr bei denen nicht so wie bei uns. Sie fürchten sie und glauben, sie sei eine Ausgeburt Satans. Ich konnte sie hier verstecken, was ich sofort tat, nachdem ich von denen gehört hatte.«

Wie von selbst und ohne viel Worte reihte sich unsere Entschlossenheit zu einem Plan, den wir in jedem Fall befolgen und erfüllen wollten.

Sein Blick uferte ins Grenzenlose, starr und nachdenklich. Die Sonne schenkte uns ihre letzten Strahlen, das tiefe Magenta verschwand aus den Wäldern und die Dunkelheit breitete sich langsam aus.

»Und was tun wir jetzt?«, fragte ich irritiert.

»Wir müssen herausfinden, wie sie in unserer Welt gekommen ist. Danach müssen wir zusehen, dass wir sie wieder zurückschicken.«

Im nächsten Moment fühlte ich, wie das Gefühl in mir aufstieg, sie in unserer Welt belassen zu wollen. Ich spürte, wie ich dazu neigte, meinen Kopf zu ihr drehen zu wollen, erneut in ihre Augen zu blicken und um jeden Preis diese extreme Form der Selbstaufgabe zu spüren, alles für sie tun zu wollen.

Ihr Blick gab mir ein Ziel in meinem Leben, eine Aufgabe, die mir keiner nehmen konnte. Ich fühlte mich für einige Momente ritterlich und heldenhaft, aber nicht, um auf getarnte Weise meine Persönlichkeit mit Ruhm und Frauen zu bereichern, sondern aus tiefstem Herzen, fern aller Selbstsucht und allem Image.

»Ich habe sie in der letzten Nacht bereits verteidigen müssen. Wir sind gemeinsam vor mehreren Anhängen dieses Kultes hierher geflohen. Sie tragen einen Ritualdolch bei sich, den sie aus einem ausländischen Museum gestohlen haben. Mehr konnte ich über diese Leute noch nicht in Erfahrung bringen. Heute Nacht treffen sie sich bei einer Zusammenkunft in der Stadt. Sie haben sich dafür einen Raum gemietet, soviel ich weiß, und planen einen großen Schlag gegen diese Frau. Wir können hier auch nicht fort, weil sie außerhalb der Wälder und in der Stadt herumlungern.«

»Weißt du ihren Namen?«

»Nein, sie hat bisher nicht zu mir gesprochen. Es scheint mir so, als fiele es ihr schwer, einen Namen zu übermitteln. Ich habe auch den Eindruck, als würde sie das alles gar nicht berühren. Ich weiß noch nicht einmal, ob sie überhaupt in ihre eigene Welt möchte und wie sie hierher gekommen ist. Nur in Anbetracht der Gefahr, die von diesem Kult ausgeht, habe ich den Plan gefasst, sie in ihre Welt zurückzubringen. Wirst du mir helfen?«

Natürlich würde ich ihm helfen, es konnte gar keine andere Alternative existieren. Doch meine Intuition teilte mir mit, dass es nicht mehr notwendig war. Ganz automatisch drehte ich meinen Kopf noch einmal zu ihr und blickte erneut in ihre hellen Augen. Ihre Botschaft war deutlich. Sie teilte mir auf diesem Wege mit, dass sie sich um diesen Kult kümmern würde.

Ich war plötzlich sicher, sie hätte nun genügend Energien gespart, um sich selbst zu verteidigen, dass sie nur eine Ruhezeit benötigt hatte, um wieder zu Kräften zu kommen. So, als hätte ihr der Dimensionswechsel all ihrer Kräfte beraubt. Ich konnte es nicht richtig formulieren, wie es nun zu ihrem sicheren Entschluss gekommen war, aber ich konnte es umso deutlicher fühlen.

»Du wirst gleich in die Stadt fahren, weil sie dein Gesicht noch nicht kennen, und sie ausspionieren. Versuche, dich unerkannt unter sie zu mischen und finde heraus, was sie geplant haben. Vielleicht gelingt dir das eine oder andere, damit wir einen kleinen Vorteil bekommen.«

Ich nickte. Dabei fragte ich mich, ob er davon wusste, dass diese Frau sich nun um diese Leute kümmern würde. Doch in der Luft lag eine bedeutungsvolle Dringlichkeit und ich machte mich sofort auf den Weg.

In der Stadt angekommen sah ich mehrere Menschen, die ein gemeinsames Merkmal besaßen. Es handelte sich dabei um einen schwarzen Stab, den sie bei sich trugen. Ich konnte davon ausgehen, dass es sich um Anhänger dieses Kultes handelte. Sofort verfolgte ich sie unauffällig und ließ mich zu ihrem Treffpunkt bringen. Sie führten mich zum Theater der Stadt. Wahrscheinlich besaßen sie genügend Einfluss, es für einen Abend für ihre Zusammenkunft zu mieten.

Ich drückte mich im Foyer herum und versuchte krampfhaft zu verschleiern, dass ich gerade keinen schwarzen Stab trug, indem ich mich an eine Wand lehnte und unauffällig zu Boden schaute. Ungefähr nach einer halben Stunde schienen sämtliche Anhänger ins Theater gegangen zu sein. Ich wartete noch einige Minuten und ging lautlos zu einer Nebentür und öffnete sie vorsichtig. Die gut isolierte Tür bescherte mir nach dem Öffnen ein großes Geflüster. Sie unterhielten sich untereinander und auf der Bühne stand ein eindrucksvolles Rednerpodest.

Langsam, aber sicher geriet ich in Zugzwang, denn mein Freund erwartete einen Vorteil ihnen gegenüber und bisher konnte ich nichts dergleichen bieten. Doch kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, schoss ein Befehl in mein Bewusstsein, von dem ich wusste, dass er von dieser Frau gekommen war:

»Verschließe alle Türen.«

Behutsam schloss ich die Tür und konnte binnen weniger Minuten einige Eisenstangen auftreiben, mit denen ich die Haupttür und einen der beiden Notausgänge blockieren konnte. Die Stangen waren stabil genug, sodass selbst der Ansturm einer größeren Menschenmenge sie nicht brechen konnten.

Nun stand ich mit der dritten Eisenstange vor der letzten Tür. Vorsichtig öffnete ich sie noch einmal, um einen Blick hineinzuwerfen. Kaum hatten sich meine Augen an die Dunkelheit in diesem riesigen Raum gewöhnt, tauchten plötzlich zehn, zwanzig, dreißig und mehr Untote auf, die mit ausgestreckten Armen und schwerem Stöhnen und Röcheln auf die Anhänger losgingen.

Mit fasziniertem, aber auch entsetztem Blick schloss ich die Tür und verbarrikadierte sie ebenfalls mit der verbliebenen Stange. Unsere unbekannte Frau hatte ganze Arbeit geleistet und wie immer sie es vollbracht hatte, so sendete sie ihnen Gegner, die ganz ihrer persönlichen Realität entsprachen. Noch das Geschrei in meinen Ohren vernehmend, wandte ich mich von diesem Ort ab und kehrte zurück zur Burg.

»Sie sind besiegt«, schloss ich meinen Bericht für meinen Freund ab.

»Es ist unglaublich. Sie hat die Kraft, eine Realität für andere Menschen zu erschaffen, die ganz ihrem Glauben und ihren Erwartungen entspricht. Das ist eine immense Fähigkeit, die sehr viel Verantwortung verlangt. Mit ihr kann man ganze Heere vernichten.«

Ich verstand, welches Gefühl er zum Ausdruck bringen wollte.

»Doch was immer sie getan hat, wir müssen dafür sorgen, dass sie in ihre Welt zurück kann. Wenn es stimmt, was du von ihr wahrgenommen hast, dann besitzt sie jetzt wahrscheinlich genügend Kraft, um zurückzukehren.«

Trotz unseres leichten Sieges über diese seltsame Anhängerschaft mit ihrem Glauben an Satan und andere dämonische Kräfte, dessen Feindesbild sie dazu geführt hatte, zu dem zu werden, was sie verabscheuten, stieg nun eine schwere Traurigkeit in mir empor. Sie war von einem Moment zum anderen aufgetaucht und durchströmte mein ganzes Sein.

Ich riss meinen Kopf zu den Türmen der Burg hinauf und sofort erblickte ich ein hell strahlendes Licht. Es bewegte sich von den Zinnen fort und raste unmittelbar danach durch den Wald. Fieberhaft rannten wir dem Licht hinterher, in der Hoffnung, es einzuholen. Am Waldrand gelangten wir zu einem hohen Weizenfeld und konnten zusehen, wie sich das Licht immer weiter und weiter entfernte. Es war ein kurzer Abschied.

So, wie in einigen Nächten zuvor, zog es mich immer wieder an diesen Ort, um dieser fremden Frau nahe zu sein, ihre Anwesenheit zu spüren aus jenen Momenten, in denen sie mir so nahe war. Es war keine Liebe im klassischen Sinne, sondern eher eine innere Zuneigung, ein unglaubliches Maß an Loyalität und Aufrichtigkeit.

In diesen Augenblicken war ich ihr und meiner selbst so nahe, dass all meine Alltagsbelange weit in den Hintergrund traten und mir eine Distanz vermittelten, die mir eine wundervolle und innere Ausgeglichenheit gegenüber meiner Welt schenkten; mochte sie noch so grausam oder vereinnahmend sein. Meine Vergangenheit und Zukunft verblassten in diesen intensiven Momenten der Gegenwart und wurden zu nichtsnutzigen Schatten, die wie ein elender Hausspuk in meinem Kopf herumzutanzen gewohnt, aber nun aus meinem Reich entfernt worden waren.

Plötzlich knackte es im Unterholz. Mein Kopf drehte sich zielsicher in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Ich erkannte meinen Freund, der fast wie aus dem Nichts erschienen war und erst im letzten Moment seines Auftauchens diesen Laut von sich gab.

»Sie ist wie eine Droge, nicht?«, sagte er zur Begrüßung zu mir und sprach das aus, was ich auch schon einmal scherzhaft festgestellt hatte.

»Ja, mag sein«, antwortete ich zögernd. »Ich möchte sie wiedersehen.«

»Ich weiß, mein Freund, ich weiß.«

(eine Kurzgeschichte von © Jonathan Dilas)
Die mobile Version verlassen