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Das Dorf am Rande der Welt

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Das Dorf am Rande der Welt

(Träume werden zu Geschichten)

Eine geträumte Kurzgeschichte von Jonathan Dilas


Es war ein schöner, sonniger Tag, als ich gerade vor meinem Computer saß und verzweifelt versuchte ein Problem zu lösen, das ständig für den Absturz eines Programms sorgte, sobald ich nur einen Buchstaben eintippte oder eine andere Farbe anwählte. Ich verzweifelte geradezu an diesem mir unerklärlichen Fehler.

Plötzlich kam Katharina herein und fragte mich, ob ich Lust auf einen kleinen Ausflug hätte. Das war die Rettung! Bereits kurze Zeit später waren wir schon mit unseren Rucksäcken unterwegs und gelangten nach einigen Stunden in ein kleines, aber von wunderschöner Natur umgebenes Dorf. Wir haben den Namen des Dorfes mittlerweile vergessen, auch der Weg dorthin ist uns mittlerweile schleierhaft verborgen, aber wir sind gewiss dort gewesen.

Das Dorf besaß vielleicht eine Einwohnerzahl von einigen Tausend Menschen, die in einer wundervollen Idylle lebten und sogar über ein Stadtzentrum verfügten, in dem man alles erhalten konnte, was man benötigte.

Als wir dort ankamen, wurden wir von den Dorfbewohnern sehr herzlich begrüßt und kein seltsamer Blick musterte uns. So betraten wir zuerst das Stadtzentrum und im Anschluss einen Supermarkt, um uns für die nächsten Tage mit ausreichend Nahrung zu versorgen, die wir in unserer gemieteten Pension unterbringen wollten. Während Katharina gerade unseren Einkauf in den Schränken verteilte, bereitete ich gerade das Mittagessen vor. Im Anschluss daran planten wir einen ausgedehnten Spaziergang im und um das Dorf.

Stunden später standen wir am Stadtbrunnen und ich griff ins kühle Wasser, um mich ein wenig zu erfrischen. Es war ein heißer Tag und so ruhig und zauberhaft uns das Dorf erschien, so war ich doch ein wenig misstrauisch. Es lag nicht an den Menschen, die wir hier sahen, sondern an der Atmosphäre. Ich versuchte intuitiv zu erfassen, was diese innere Beunruhigung in mir auszulösen vermochte, aber ich konnte keine Antwort entdecken.

Plötzlich, wie durch ein unsichtbares Magnet, das meine Augen fort vom Glanz des frischen Wassers und zu einer sich im Moment öffnenden Tür zog, erblickte ich eine rothaarige, junge Frau, die auf die Straße schritt.

Sie war ungefähr 20-25 Jahre alt, trug Bluejeans, eine herbstbraune Bluse im Mittelalter-Look mit langen Schnürbändern sowie flache, schwarze Schuhe. Ihr Gesicht war mir sofort sympathisch und als hätte sie meinen Blick bereits in dem Moment gespürt, als er auf sie traf, blickte sie umgehend in meine Richtung und belohnte mich mit einem warmen, zauberhaften Lächeln. Ihre auffällig grünen Augen und die süße Stupsnase zierten ihr Gesicht auf eine magische Art und Weise, so als stammte sie nicht aus unserer trockenen Alltagswelt, sondern aus einem fernen Reich, indem uralte Fabelgestalten noch immer existierten.

Mich hätte es sicherlich nicht gewundert, wenn der nächste Einblick in ihr Gesicht spitze Elfenohren ergäben hätte, doch eine gewisse ätherische Aura umgab sie dennoch. Leichtfüßig ging sie über eine kleine Veranda und trat auf die Straße. Ohne zu zögern, ging sie schnellen Schrittes auf uns zu und setzte sich mit ihrem schmalen Po auf den Rand des Springbrunnens.

„Hallo!“, sagte sie und lächelte uns an. „Mein Name ist Willow und ich bin froh, endlich einmal neue Gesichter hier zu sehen.“

„Hallo“, grüßte ich zögerlich zurück.

Katharina reagierte etwas lockerer und sie kamen schnell in ein längeres Gespräch.

In den nächsten Minuten konnte ich erfahren, dass unsere Ankunft sich in Windeseile herumgesprochen hatte. Es schien wirklich so zu sein, dass sich Besucher hier selten sehen ließen. Auch erzählte Willow von einem kommenden Stadtfest und das es hier stets ein großes und sehr beliebtes Ereignis sei.

„Wir suchen noch einige Helfer, die uns bei der Zubereitung der Speisen unterstützen. Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne mitmachen.“

Ich zögerte kurz, aber wir stimmten doch zu. Willow nickte zufrieden und warf mir ein herzerwärmendes Lächeln zu, bevor sie sich erhob und wieder ging.

„Was hältst du davon?“, fragte ich Katharina.

„Wieso? Es ist doch alles in Ordnung… oder?“

„Ich bin mir nicht sicher. Sie ist wirklich sehr offen und entgegenkommend, aber im Gegensatz dazu wirkt das ganze Dorf auf mich so irritierend. Es ist, als ob es ein Geheimnis in sich trüge, das es uns auf keinen Fall mitteilen möchte.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen!“, entgegnete Katharina. „Oder fühlst du das intuitiv?“

„Ja, genau. Und ich habe ebenso das Gefühl, dass Willow weiß, wie ich empfinde.“

Katharina wiegte ihren Kopf hin und her, dann zuckte sie mit den Schultern und meinte, dass es ihr hier jedenfalls gefallen würde. Dem konnte ich auf jeden Fall nur zustimmen und wir setzten unseren Spaziergang fort.

Am anderen Morgen klopfte es an unserer Tür und mit einem halbwachen Auge sah ich, wie jemand einen Briefumschlag unter den Türschlitz schob. Katharina schien bereits erwacht zu sein und stand schnell auf, um den Umschlag zu holen. Sie setzte sich auf die Bettkante meines Bettes und nahm den Brief aus dem Umschlag.

„Hey, der ist von Willow!“, rief sie aus, „Sie fragt uns, ob wir gleich in die alte Schule am Ende der Straße kämen, denn dort würden sie bereits das Essen für das Fest zubereiten.“

Ich war mir nicht sicher, ob ich eine so schnelle und direkte Konfrontation mit den Dorfbewohnern wollte, aber Willows Geschick hatte es nun einmal so eingerichtet und eigentlich blieb uns nur noch mitzumachen oder ganz schnell zu verschwinden.

„Gibst du mir das Paprika rüber“, sagte Katharina und würzte danach fleißig einige Frikadellen.

Meine Befürchtungen waren wohl ein wenig übertrieben gewesen, denn nicht nur Willow, sondern auch die anderen Helfer wirkten ausgelassen und sympathisch. Neben mir stand ein Riese von Mann, breitschultrig, mit kurzem Haar und einer lupenreinen, weißen Schürze, an der er gerade seine mit Curry beschmierten Hände sauber rieb.

„Macht ihr öfter solch ein Fest?“, fragte ich.

„Ja“, antwortete er, „bestimmt jeden Monat. Und es freut uns sehr, dieses Mal neue Gäste dabei zu haben, die sich so schnell mit uns angefreundet haben und auch einmal länger bleiben. Darf ich denn mit Katharina auf dem Fest tanzen?“

„Frag sie selbst. Mir soll es gleich sein“, entgegnete ich.

Ich dachte kurz nach, denn sein Kommentar über das Längerbleiben ist mir dann doch aufgefallen und ich versuchte mehr zu erfahren und fragte vorsichtig nach.

„Na ja, die wenigen Besucher sind oft immer wieder gegangen.“

„Das sagtest du bereits, aber wieso sind sie so schnell wieder verschwunden?“ Ich setzte mit meiner Frage automatisch voraus, dass die Abreise dieser unbekannten Besucher stets zügig vonstatten gegangen war. Er schien auch nicht sonderlich überrascht und antwortete einfach:

„Ich weiß nicht, aber sie waren immer schnell wieder weg. Ich glaube, es gefiel ihnen hier nicht besonders…“

In diesem Augenblick ließ dieser Hüne von Mann eine Tomate fallen, die er in seinen Händen gehalten hatte und bekam einen irren, starren Blick. Langsam drehte er seinen Kopf in meine Richtung und ein diabolisches Lächeln huschte über seine Lippen. Dann fingerte er nach einem Küchenmesser, das auf dem Tisch lag, umfasste den schwarzen Griff und zog es an sich heran.

In diesem Augenblick wusste ich, dass ich dem Geheimnis des Dorfes langsam auf die Schliche kam, denn dieser freundliche, offene Mann mit seinem sympathischen Dackelblick hatte sich innerhalb von Sekunden in einen mordlüsternen Bodybuilder verwandelt, der nichts Gutes im Schilde führte!

Mit einem Sprung brachte ich Abstand zwischen uns, während er mit dem Messer ausgeholt und nach mir gestochen hatte. Katharina schrie voller Panik laut auf und ging schnell rückwärts, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Ein unsicherer, aber höchst misstrauischer Blick flog in Richtung Willow und den anderen Helfern, ob sie sich nun auch verwandelt hätten, aber auch sie schauten entsetzt und versuchten auf den Hünen einzureden, während es mir wie Schuppen von den Augen fiel, wieso die Besucher stets früh wieder abgereist waren. Irgendwas stimmte hier nicht, denn dieser Mann war nun eindeutig besessen und eine unbekannte Kraft oder ein schizophrener Schub hatte Besitz von ihm ergriffen und ihn in eine gefährliche Furie verwandelt, die sicherlich jeden töten würde, der sich ihr in den Weg stellte.

„Bleib ruhig, Tom“, sprach Willow auf den Hünen ein. „Lass dich nicht verführen. Bleib ganz ruhig und lege das Messer weg…“

Es schein keinerlei Wirkung zu besitzen, Tom ging weiter schnurstraks auf mich zu und das Messer blitzte bedrohlich und warf Reflektionen gegen die Wand des Aularaumes.

„Was ist hier los?“, rief ich zu Willow hinüber, weil ich glaubte, dass sie die Einzige war, die mir eine vernünftige Antwort geben konnte.

„Es ist ein Fluch, der auf dem Dorf ruht!“, flüsterte sie, um Tom nicht noch mehr zu erregen. „Es kommt immer wieder einmal vor, dass sich jemand verwandelt. Wir haben bisher keinen Grund dafür finden können.“

Nun holte Tom wieder mit dem Messer aus und stach nach mir. Ich sprang immer wieder zurück, bis ich einen geeigneten Moment abwartete, rechts an seinem Messer vorbeiging und seinen Arm mit meiner linken Hand ergriff.

Natürlich würde er wesentlich mehr Kraft anwenden können, wenn ich mich jetzt auf ein Gerangel mit ihm einlassen würde, also schlug ich mit meinem rechten Unterarm gegen seine Kehle und stellte gleichzeitig das rechte Bein hinter seinem, damit er beim Zurückweichen vor dem Schlag nach hinten treten und stolpern würde.

Nun fiel er der Länge nach hin und nahezu wie abgesprochen, warfen Willow und ich uns auf ihn, um sein Messer zu entwenden und ihn festzuhalten. Er wehrte sich mit aller Kraft und fluchte die obszönsten Worte, die mir jemals zu Ohren gekommen waren. Plötzlich berührte ich in dem Versuch, seinen rechten Arm unter Kontrolle zu halten, seinen Solar Plexus und in diesem Moment ließ er sofort nach und mich schaute wieder der freundliche, große Mann an.

Als wussten wir, dass er sich nun wieder zurückverwandelt hatte, erhoben wir uns und halfen ihm hoch.

„Vielen Dank!“, sagte er und entschuldigte sich für seine Handlungen, die er gerade vielleicht gemacht haben könnte, als sei ihm das schon des Öfteren zugestoßen.

„Kannst du dich denn an irgendwas erinnern?“, fragte ich nach.

„Nein, ich kann mich an nichts erinnern. Alles war schwarz, so als wäre ich ohnmächtig gewesen. Und das nächste, woran ich mich erinnern kann ist, dass ich auf dem Boden lag und ihr auf mir.“

Ich schaute Willow an.

„Wir wissen wirklich nicht, was es mit diesem Fluch auf sich hat, aber es kommt immer wieder einmal vor. Manchmal mehrmals am Tage. Wir haben bereits einige hundert Bewohner in diesen Auseinandersetzzungen verloren. Wir können deswegen auch keine Gerichtsverhandlungen führen, um Straftaten zu ordern, weil es keinen Schuldigen gibt, den man einsperren könnte.“

Ich verstand genau, was sie meinte, denn das, was gerade vorgefallen war, war gewiss nicht Tom anzukreiden, sondern einer fremden Macht. Doch spekulierte ich, dass sich die Dorfbewohner irgendwie für diese Macht geöffnet hatten, denn in meinen Augen geschah nichts einfach nur so und vor allen Dingen gab es niemals einen Unschuldigen, sondern alle Geschehnisse waren aufeinander abgestimmt und die Grenzen zwischen Opfer und Tätern stets sehr vage.

„Trotz Toms offensichtlicher Unschuld, muss er, und auch die anderen, die bisher befallen waren, dieser Macht Zugang gegeben haben“, äußerte ich forsch.

„Das habe ich auch schon überlegt“, entgegnete Willow trocken und trat näher an mich heran, „aber ich bin bisher zu keinem Ergebnis gekommen… bis…“

„Bis, was?“

„Bis gerade eben!“, flüsterte sie und ihre Augen wurden feucht und funkelten mich an.

Katharina schien ungeduldig zu werden und drängte Willow alles zu äußern, was ihr dieses Mal anders erschien.

„Er hat ihn am Solar Plexus berührt und ich sah, wie er damit einen energetischen Kreis unterbrach, der Tom und diese unheimliche Macht miteinander verband. Als er dazwischen gegriffen hat, wurde der Kreis unterbrochen und Tom erlange die Herrschaft zurück. Das ist bisher noch nie passiert.“

Katharina blickte Willow und dann mich an…

„Und du dachtest, wir wären hier nur mal so vorbeigekommen.“

Ich lächelte und dachte an den Moment zurück, als Katharina mich gefragt hatte, ob ich Lust auf einen spontanen Ausflug ins Grüne habe und wir dann zufällig hier gelandet waren.

Ich stellte mich wieder an den Tisch und wir versuchten weiter das Essen vorzubereiten, während wir weiter über dieses seltsame Geschehen sprachen. Während ich mich an den Gedanken zu gewöhnen versuchte, dass solcherlei Überraschungen zukünftig immer wieder mal vorkommen dürften, sträubten sich plötzlich meine Nackenhaare!

Ich schaute sofort zu Tom herüber, aber auch er schien wie gelähmt und blickte gebannt auf den Tisch gegenüber von uns. Mit einem Schreck fuhr mir durch den Kopf, dass Willow und Katharina dort standen… Mein Blick erfasste sofort Katharina! Sie besaß nun diesen irren Blick und hatte in Windeseile nach einem Fleischermesser gegriffen. Willow sprang mit einer unglaublichen Reaktionsfähigkeit zurück und lief um den Tisch zu uns. Sie hielt dabei ein Amulett umfasst, das ich schon einmal bei ihr beobachtet hatte.

„Ich wusste es!“, rief Willow aus und fügte gehetzt hinzu, dass diese Kraft bisher jeden ergriffen hätte und es keine Ausnahme gab. Normalerweise hätte mich ihre Aussage zu Tode gefürchtet, da sie implizierte, dass es auch mich einmal ereilen würde, aber jetzt war erst einmal die Rettung Katharinas wichtig.

Ich stürmte nach vorn und wollte an ihren Solar Plexus greifen, doch sie holte sofort mit dem Messer aus und ehe ich ausweichen konnte, zerriss die Klinge mein T-Shirt und hinterließ einen roten Kratzer auf meiner Brust. Ich ergriff ebenfalls ein Messer und wollte sie von der Vermutung, dass ich sie am Solar Plexus berühren wollte, ablenken, um sie unvorbereiteter erwischen zu können. Sie hielt für einen Moment inne.

In diesem Augenblick erinnerte ich mich an einen Traum, in dem Katharina einst mit einem Messer vor mir gestanden hatte. Ich hatte ihr damals von diesem Traum erzählt und wir hatten uns stets gewundert, wie jemals eine solche Situation entstehen sollte. Nun besaßen wir die Antwort und ich erkannte mit Schrecken, dass mein hellsichtiger Traum zur Realität gefunden hatte!

Zum Glück schien diese Macht in ihr nicht blindlings anzugreifen, denn sie hätte Katharinas Körper gefährden können. Nun stürmte sie aber doch nach vorn und stach wie wild nach mir. Ich wich aus und in diesem Moment lief alles wie in Zeitlupe ab. Meine Zeitwahrnehmung dehnte sich und ich konnte mit meiner flachen Hand gegen ihren gestreckten Ellenbogen schlagen.

Das Messer fiel ihr sofort aus der Hand und ehe sie sich versah, umschlang ich sie von hinten und legte meine Hände auf ihren Solar Plexus. Sofort kehrte Stille ein und Katharina verwandelte sich wieder zurück.

Wir atmeten erleichtert auf und saßen nun gemeinsam und erschöpft auf dem Boden. Es hatte sich eine Tüte Mehl in der Auseinandersetzung geöffnet und der Inhalt war auf dem ganzen Boden verstreut.

„Noch zwei von diesen Vorfällen und ihr könnt mich für heute entschuldigen!“, meinte ich.

So makaber und unheimlich diese Situation auch in dem Moment erschien, so konnten wir uns trotzdem ein Lächeln nicht verkneifen. Ich glaube, wir waren gemeinsam froh darüber, besonders Willow, dass es für sie nun endlich ein Mittel gegen diesen Fluch gab.

„Wir sind glücklich, dass du zu uns gefunden hast“, sagte Willow sanft zu mir. „Dich schicken die Götter!“

„Wir wollen nicht gleich übertreiben“, entgegnete ich. „Denn was wollt ihr tun, wenn diese Kraft einmal bei mir Eintritt findet?“

Wir sahen uns schweigend an. Daran hatte bisher niemand gedacht und Willows optimistischer Blick verfinsterte sich…

Gegen Abend wurde das Sommerfest eröffnet und trotz der Vorkommnisse, die sich mittlerweile herumgesprochen hatten, denn Tom stellte sich als die Tageszeitung des Dorfes heraus, amüsierten wir uns sehr.

Spät in der Nacht gingen wir langsam zur Pension zurück und ich schaute Willow mit einem Seufzer nach, als sie sich auf dem Weg nach Hause machte. Zuerst wollte ich ihr folgen, fand es aber doch ein wenig aufdringlich und hielt mich zurück. Nachts konnte ich nicht einschlafen und musste immer wieder an die sonderbare Verwandlung denken, die mit Tom stattgefunden hatte.

Es wurde im Dorf gemunkelt, dass ich vielleicht heilerische Fähigkeiten besäße, weil ich ihn von dem Fluch mit nur einer simplen Berührung befreit hatte.

Willow hatte noch hinzugefügt, dass sie ebenfalls schon mehrere Male von dieser Kraft heimgesucht worden war, so wie alle anderen Dorfbewohner. Normalerweise hielt dieser Zustand mehrere Minuten an und wenn es eben ging, sperrte man den Besessenen ein oder man hielt ihn mit mehreren Personen fest, bis er sich wieder zurück verwandelt hatte.

Da Katharina ebenfalls sehr schnell von der Kraft heimgesucht wurde, so meinte sie, würde sie nicht lange auf sich warten lassen, bis sie an die Tür meines Geistes klopfen würde. Mit diesem Horrorgedanken konnte ich verständlicherweise keinen Schlaf finden.

Als ich doch noch einschlief, träumte ich von einem Kinderspiel, in dem man im Kreis herumlief und Ringelrangelrose sang. Manchmal wurde ich von einem Schrei geweckt, vermutlich hatte sich jemand verwandelt und wurde schnell eingesperrt oder festgehalten, bis der Anfall vorüber war.

Ich hatte keine Ahnung, was dort draußen noch für unheimliche Dinge geschahen, aber ein oder zwei Stunden Schlaf erhielt ich trotzdem.

Ein wenig dachte ich noch über das Gespräch mit Katharina nach, als wir uns zu Bett gelegt hatten. Sie hatte vorgeschlagen länger zu bleiben und war zuversichtlich, dieses Dorf von seinem Fluch befreien zu können. Ich hatte sofort zugestimmt und konnte das Dorf jetzt nicht einfach verlassen, da ich einen Schlüssel zu besitzen schien, der eine große Veränderung hervorgerufen und Optimismus in die Bewohner gebracht hatte.

Zwei Wochen später.

Wir waren noch immer Gäste in dem Dorf und ich hatte bisher mehrere hundert Personen von ihrer akuten Besessenheit befreien können, indem ich sie nur am Solar Plexus berührt hatte. Immer seltener wurde die Gegenwehr so stark, als dass wir uns hätten besonders anstrengen müssen. Es schien, als verlöre die Kraft an Intensität und Ausdauer. Mittlerweile war es Willow sogar gelungen aus eigener Kraft wieder normal zu werden.

Wir waren also sehr willkommen in dem Dorf, auch wenn etwas sehr Seltsames wie ein Schatten über mich lag, denn bisher waren alle von dieser Kraft in einer mehr oder minder großen Wirkung heimgesucht worden, außer mir. Willow war sicher, dass die Kraft eine ganz andere Energiekonfiguration oder Struktur besaß als ich und ich somit nicht kompatibel war. Katharina glaubte hingegen, dass meine Willenskraft zu stark war und die Kraft mich bisher nicht besiegen konnte.

Meine Wenigkeit blieb weiterhin misstrauisch. Ich konnte nicht glauben, dass die Kraft nachließ, mir schien es eher so, als würde sie ihre Kraft für einen aufsparen oder sich nur für kurze Zeit zurückziehen.

Nun war es wieder so weit. Es fand der Geburtstag des Bürgermeisters statt. Wieder einmal standen wir vor mehreren zusammengestellten Tischen in der Aula und richteten ein großes Kuchen- und Tortenbuffet zu. Überall duftete es stark nach Kaffee und Katharina grinste über beide Ohren in meine Richtung und leckte sich über die Lippen. Der Fluch war mittlerweile stark zurückgewichen und immer seltener gab es Zwischenfälle, in denen sich jemand verwandelte.

Kaum waren die ersten Torten fertiggestellt, flog plötzlich die Tür auf und es kamen mindestens ein dutzend Personen in die Aula gerannt, die sich an den Händen hielten und sofort in einen befremdlichen Singsang einstimmten. Augenblicklich brach Panik aus und jeden durchzuckte die Erkenntnis, dass diese unheimliche Macht nun zu einem großen Schlag ausgeholte.

Es waren mehrere Dorfbewohner, vorzugsweise Frauen jüngeren Alters, die gleichzeitig von der Kraft besessen waren und ehe ich mich richtig orientieren und zur Wehr setzen konnte, hatte eine von ihnen meine rechte Hand ergriffen und hielt sie nun eisern fest. Die Hände dieser Frauen leuchteten grün und ich erkannte sofort intuitiv, dass wenn sie meine andere Hand noch ergreifen konnten, sie den Kreis schließen und mich auf ihre Seite ziehen würden. Die Kraft würde genau in diesem Augenblick das erreichen, was sie bisher vergeblich bei mir versucht hatte.

Mit meinen Füßen trat ich um mich und schlug mit meiner rechten Hand nach dem Solar Plexus der jungen Frauen, aber weder konnte ich eine von ihnen erwischen, noch gelang es mir, mich vor dem Unvermeidbaren zu retten. Irgendwer ergriff schlussendlich meine rechte Hand und alles wurde sofort Schwarz um mich herum…

Ich schwebte im Nichts… konnte meinen Körper nicht fühlen… Es war, als schwebte ich in einem Raum ohne jede Gravitation… trudelnd… einem Gasballon gleich… ohne Atem oder Bedürfnisse… simple Existenz… bloßes Verharren… Unendlichkeit… Stille…

Langsam öffnete ich meine Augen und sah, dass sämtliche Dorfbewohner um mich herum in diesem Nichts schwebten. Es gab nicht eine Person, die hier gefehlt hätte. Ebenso Katharina konnte ich neben mir erblicken und gegenüber schwebten Willow, Tom, der Bürgermeister und die anderen, die wir im Laufe der Zeit persönlich kennengelernt hatten. Willow hob nun langsam ihren Kopf, als fühlte sie, dass ich sie anschaute.

Sie blickte mich an und lächelte… doch dann ergriff mich ein furchterregender Schauer, denn Willows Lächeln entblößte gleichzeitig zwei spitze Vampirzähne!

Nun lächelten sie mich alle an und ich konnte diese spitzen Zähne bei jedem von ihnen entdecken. Es gab wohl möglich keinen Zweifel darüber, ob ich ebenfalls diese Zähne besaß, doch bevor ich dies näher erkunden wollte, dachte ich fieberhaft über einen Ausweg nach…

Wie lange schwebte ich hier schon in diesem Nichts? War das Dorf nun leer oder nur noch von unheimlichen Geistern in unseren Körpern bevölkert? Ich fand einfach keine Antwort auf all diese Fragen, aber dann erinnerte ich mich an das Computerproblem, das ich vor kurzem besaß. Ich dachte so intensiv wie möglich an diese Szene zurück, in der ich eine andere Farbe als Grün eingeben wollte und den Computer dazu veranlasste abzustürzen.

Plötzlich löste sich die ganze Szene um mich herum auf und ich wusste, dass ich in diesem Nichts, in denen wir geschwebt waren, eine Art Reset ausgelöst hatte, der alle Dorfbewohner wieder befreit hatte. In Sekundenschnelle befanden wir uns wieder in dem Dorf, Katharina stand neben mir.

„Was ist geschehen?“, fragte sie verstört.

„Wir sind wieder raus!“, rief ich und wir gingen schnell ins Stadtzentrum, um nach den anderen zu sehen…

„Es war mir gelungen, das ganze Dorf aus diesem unheimlichen Zustand zu befreien, indem ich einfach nur einen Reset auslöste. Es war, als würde ich die ganze Realität, in der wir uns befanden, neu starten!“, erklärte ich Willow, als ich zu Besuch in ihrer Hütte am Rand des Dorfes war.

Sie saß aufrecht auf einer Couch, während mein Kopf auf ihren Oberschenkeln ruhte und ich meine Füße auf der Lehne platziert hatte. Sie streichelte mein Haar und beichtete mir, dass sie eine Hexe aus dem Norden sei und deshalb so zurückgezogen am Waldrand in dieser Hütte leben würde.

Ich dachte kurz über ihre Aussage nach und erkannte, dass sie ebenfalls voller Geheimnisse steckte, wie dieses Dorf, und ich fragte mich, ob wir jemals wieder von dieser Kraft hören würden.

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