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Das verbotene Buch

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Das verbotene Buch
oder »Amduat Buch der Hah«

»Wehr immer dises Buch lese unth in disem Momenth frei von Zweifell unth Hohn ist, mag sich nun wundern, denn dis ist das Buch, das geschriben wurde weith vor der Zeith als sie noch nicht hir gewesen. Bedenke Fremder, dasz dises Buch keine Geschichte ist sondern ein Zeugnisz aus alten Taghen. Aus Zeithen in denen wihr noch lebthen an magischen Pletzen diser Welth. Es ist dein Erbe…«

»Schauen Sie nicht in die Bücher! Sie sind verboten!« hatte mein Chef eben noch gesagt, schon längst mir seinen Rücken zugewandt und den Hof verlassen.

Ich schlug das Buch zu und warf das nächste ins Feuer. Es war wieder eins dieser Bücher, die ich verbrennen musste. Eigentlich hatte ich Bücher immer geliebt, aber manchmal zählt gutes Geld mehr als die Förderung meines Intellekts. Mein Chef hatte verlangt, ich solle diese Bücher vernichten, da sie ohnehin niemand mehr lesen würde. Es sollte nicht ein Schnipsel übrig bleiben! Wie durch einen Zufall hatte ich zuvor ein Telefongespräch mit dem ursprünglichen Besitzer dieser Bücher mitbekommen. Mein Chef meinte, dass er ihm das Geld für seine kleine Büchersammlung liebend gern und schnell überweisen würde.

Es waren dieses Mal nur vier Bücher gewesen und mein geiziger Chef hatte ihm ganze 300.000 Euro dafür gezahlt! Ich wunderte mich, wieso er so viel Geld für ein paar alte Bücher ausgab, die er dann auch noch verbrennen ließ? Meine Schulden waren mit dem Lohn nicht zu bezahlen, aber er war gut. Okay, wenn ich eins dieser Bücher behielte, würde ich gewiss viel mehr Geld bekommen, aber wenn das jemals herauskäme, wäre ich nicht nur meinen Job los!

Der Chef kam zurück.

»Und? Haben Sie die Bücher verbrannt?«

»Ja… habe ich!« antwortete ich.

»Dann öffnen Sie bitte Ihre Tasche…«

Sein ernster Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel darüber übrig, dass er wirklich in meine Tasche sehen wollte. Sie stand zu meinen Füßen. Ich hatte sie vorhin dort abgestellt, um beide Hände freihaben zu können.

Ich öffnete meine Tasche. Außer einem eingepackten Butterbrot, einer Thermokanne und einer grauen Mappe befand sich nichts darin.

Er beugte sich ein wenig vor und es schien, als schaute er in jeden Winkel der Tasche.

»Nun gut! Dann können Sie jetzt Feierabend machen. Wir sehen uns morgen um acht.«

Ich nickte und wollte gerade umkehren und gehen, als er mich noch einmal rief…

»Können Sie eben noch Ihren Mantel öffnen? Sie müssen entschuldigen, aber ich mache meine Arbeit perfekt und das erwarte ich auch von meinen Angestellten!«

Mir schoss das Blut in den Kopf! Ich hoffte, er bemerkte nicht, wie rot ich wurde und mich dann verdächtigen würde. Dann öffnete ich zögernd meinen Mantel und er schaute kurz nach, konnte aber nichts entdecken. Er nickte mir zu und ging endlich.

Zuhause angekommen war fühlte ich mich erleichtert und paranoid zugleich! Was war das für ein seltsamer Arbeitstag? Und wie seltsam sich der Chef benommen hatte! Doch wie durch einen unbekannten Zauber hatte sich das letzte Buch vor den Augen meines Chefs versteckt. Sofort warf ich mich aufs Bett, zog meine Schuhe aus ohne die Schleife zu öffnen, schaute ich mir das Buch genauer an.

Es war in altes, braunes Leder gebunden, schon sehr angedunkelt und ein wenig aufgerissen am Buchrücken. Die großen Buchstaben auf der Vorderseite waren nur schwer lesbar: „Amduat Buch der Hah„. Der Titel sagte mir nichts. Vorsichtig schlug ich es auf und las weiter…

»…Wo an Orthen unth Lendern sinth sie nun die Magier unth Gelehrthen? Sie sinth gegangen! Nicht nur eure Pyramiden unth althen Stetten sinth verlaszen, sondern auch eure Hertzen. Niemanth ist mehr da um euch zu grueszen. Sie sinth geflohen, nicht vor den Menschen, sondern vor denen, die an ihrer Stelle dachten unth lenkthen. Erinnere dich nur einen Momenth der althen Orthe unth Taghe in denen du mit Kindern gespielth, die lachent dir folgthen über Stock unth Stein, denn sie konnthe nichts verletzen, weil sie in ihren wahren Leiber gehwesen!«

Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter! Diese Sprache und auch eigentümliche Rechtschreibung dieses Buches kamen mir so bekannt vor… Es war so alt und trotzdem schien es mir völlig vertraut! Die Atmosphäre war ebenso antik, irgendwie barock, und drang in meinen Geist ein, erfüllte mein ganzes Sein und schien an mir zu rütteln. Sekundenbruchteile blitzte es vor meinen Augen auf und es schlichen sich Bilder in mein Bewusstsein, die ich längst als vergessen und stets für Phantastereien gehalten hatte, wundervolle Momente in herrlicher Umgebung, mit grandiosen Bauwerken, Pyramiden, Tempeln und Steinkreisen. All diese Bilder waren nur ganz kurz vor meinem geistigen Auge aufgetaucht, nur um wieder in einem dunklen Sumpf zu verschwinden, zurück zu den grauen Häusern meiner Heimatstadt und den grauen Türen, schlecht gestrichen, nur pragmatischen Sinnes.

Plötzlich klopfte es an der Tür!

»Bitte machen Sie auf! Wir wissen, dass Sie zu Hause sind.«

Sie kommen bestimmt wegen des Buches, schoss es mir in den Kopf! Ich durfte es nicht zurückgeben! Ich wollte wissen, wie es weitergeht! Ich wollte es bis zum Ende lesen, wenn nötig, um jeden Preis! Das Buch hatte mich gefangen und ich war nun sein gieriger Leser. Mit einem Sprung war ich aus dem Bett, zog meine Schuhe an, griff nach meinem Mantel und verschwand über die Feuerleiter nach draußen.

Stundenlang lief ich draußen herum, um einen geeigneten Platz zu finden, wo ich das Buch weiterlesen konnte.

Es war einfach zu auffällig, bei dieser Kälte draußen mit einem Buch zu sitzen und zu lesen, aber auch in einem Café wäre es nicht ratsam gewesen. Doch dann fiel mir die Stadtbücherei ein. Ich ging möglichst unauffällig dorthin und setzte mich zwischen all die anderen Leser und las weiter.

»Die Pyramiden waren einsth da, um eure Leiber an jeden Orth der Welth unth auch zu anderen Planethen zu bringen. Ihr brauchtet nicht so viele Leiber wie ihr jedoch jetzt sicherlich haben werdet. Wihr tauschthen unsre Leiber nach Hertzenslusth, mal Weib, mal Mann, mal Gethier.«

Ich dachte an all die Milliarden Menschen, die mittlerweile unsere Welt bevölkerten und es kamen immer mehr und mehr Kinder zur Welt. Die Geburtenrate hatte die globale Sterberate schon längst überschritten. Wo sollte diese Bevölkerun gsexplosion hinführen? Welchen Sinn besaß sie? Was trieb die Menschen dazu an, Mutter Erde auszuplündern und sie überzubevölkern? Welche Gedanken trieben sie an?

»Unsre Leiber sinth nicht dazu gemacht, um lange in ihnen zu sein. Wir haben nicht so kennthnis mith disen Leibern, auch wenn sie unsre Kreation sinth. Sie waren nie gemachth um zu erkranken, denn ohne euer Dazuthun sinth sie immer gesunth!«

Irgendwas in mir hetzte mich immerfort. Ich hatte den Eindruck, dass mir das Buch befahl, ich solle es zügig und ohne Unterlass lesen. Ich beeilte mich immer mehr und fing nur noch Kernsätze auf, wichtig markierte und auffällige Textpassagen…

»Unsre Welth ist magisch unth voller Zauber! Doch seith dem sie gekommen, droht uns Gier unth Geplunder. Sie beuthen alles aus. Auch dich haben sie ausgebeuthet, der du das vieleicht lesen magst. Sie sinth in deinem Denken unth glaube mir, nicht einer deiner Gedanken ist der deinige!«

»Sie lieben ihre Welth so zu gestalten wie die ihre mahl war.. Sie bauen seltsame Vehikel unth fremde Geretschafthen und erschufen unth erschaffen eure Wuensche nach mehr. Doch du, der dis lesen mag, bedarfst dessen nicht. Alle Geretschafth ist in dir!«

»Wenn sie gesiegt haben, dann weisst du nun nichths mehr von den alten Kulthuren unth ihrem Wiszen, das wir sinth. Euer Wiszen wird dann geheim unth den meisthen unbekannt sein. Es wirth kein Buch unth keinen Menschen mehr geben, der dir die Worthe verraten kann, die wihr dir hir nun sagen.«

Es war so gruselig, in diesem Buch zu lesen, so alt und bekannt. Das Bild einer Kuckucksuhr entstand in meinen Kopf, und der Kuckuck schoss aus der Uhr hinaus und verwandelte sich in ein seltsames Wesen mit Fühlern und Tentakeln, als sei es oben in meinem Kopf und das Türchen, wo der Kuckuck lebte, war nun meine Stirn, oder ein Punkt zwischen meinen Augen, welcher einmal für etwas anderes gedient hatte…

»Ihr kennt es nicht mehr, mit euren Leibern umzugehen, ihr kennt euch nicht mehr mit ihnen aus. Drum erkranken sie unth erscheinen euch irgendwann wie ausgelaught. Unth gewisz werdeth ihr das blaue Erdenwesen auspluendern, bisz es keinen Baum unth kein Wasser mehr hath unth dann werdeth ihr nach andren Planethen schauhen. Ihr habt keine Ahnung mehr davon was es heiszt, Mensch zu sein. Ihr seith sie geworden.«

Intuitiv blickte ich einmal auf und sah zwei Männer am Eingang stehen, die dauernd in meine Richtung blickten. Sie waren irgendwie auffällig. Einer von ihnen trug anscheinend ein kleines Mikrofon im Ohr und sie nickten sich kurz zu, als sie sich auch schon in meine Richtung bewegten.

Ich schlug das Buch zu und ging schnell durch den Hinterausgang, den ich noch aus meiner Kindheit kannte.

Draußen angekommen, rannte ich Richtung Bahnhof. Die Neugier war nun so stark in mir angewachsen, sodass es kein Zurück mehr für mich gab. Ich wollte nur noch das Ende dieses Buches lesen! Danach konnten sie es ruhig haben. Dann wäre es mir völlig gleichgültig! Aber das Ende wollte ich noch lesen… nur noch das Ende!

»All eure Meinunghen werden die ihrigen sein unth nicht mehr die euren, oder laszt es mich so benennen, es hat nie Meinungen gegeben. Sie gehen schnell unth sinth ruhelos. So sinth gewisz auch eure Hirne jetzt nichth mehr ganz genutzth, weil viele Teile nicht mehr arbeithen. Ihr werdeth aber trozdem ruhen mueszen, damit eure Leiber  hinausgehen koennen in die Unendlichkeith unth sei es nur für wenige Stundten. Unth euer Athem wirth auch noch da sein, aber ihr werdeth nicht mehr wiszen, dasz es euer wahrer Leib ist der da atmeth.«

»Unth wenn du dir selber einmahl begegnesth, dann wirsth du dich vor dir selbsth erschrecken unth davonlaufen, weil du glaubsth, du hat einen Geiszt gesehn. Du wirsth denken, es ist ein Demohn oder gahr ein Mordener in deinem eigenen Hause. Du wirsth dich gar nicht wiedererkennen«

Am Bahnhof angekommen, zog ich einfach irgendein Ticket in eine entfernte Stadt. Danach sprang ich in einen der Züge, die abfahrbereit am Gleis standen. Ich hatte geplant, dem Schaffner zu sagen, ich sei in den falschen Zug gestiegen. Mir war nun alles gleich. Ich wollte die letzten Seiten lesen…

Der Zug fuhr gerade an, und ich schaute hektisch aus dem Abteilfenster. Ich sah, wie zwei Männer noch hinterherrannten, und der Schaffner sie eben noch einstiegen ließ, danach schloss er die Tür. Meine Angst wuchs.

Was, wenn das die Männer waren, die an meiner Tür geklopft hatten? Was, wenn sie auf irgendeinem Videoband im Nachhinein entdecken konnten, dass ich eins der Bücher nicht verbrannt, sondern eingesteckt hatte? Immerhin waren diese viel Wert gewesen.

Die Männer bleiben vor meinem Abteil stehen und schauten kurz. Sie hielten einen Moment inne, aber gingen dann doch weiter. Ich hatte den Eindruck, als wollten sie gleich wiederkommen. Und – sie hatten das Buch auf meinem Schoß liegen sehen!

Mir wurde schwindelig, mein Atem schneller und kürzer. Gieriger als je zuvor sog ich dann den Atem ein, als hätte ich zuvor Minuten lang ohne ihn auskommen müssen.

Noch ein letztes Mal wollte ich das Buch aufschlagen und das Ende lesen. Danach konnte ich es doch einfach aus dem Fenster werfen. Die sollten mich nicht kriegen! Die nicht! Ohne Beweis wird es nie eine Anklage geben, dessen war ich mir sicher! Ich hatte die Bücher verbrannt und zwar alle!

»Unth dehr Mensch sagte, dasz es so zu sein hath unth es geschah! Alles Gemensch ging nuhn ein den dunklen Hendel mit den Wesen. Sie saugthen sich an unser Hirn unth lebthen forthan als Parasith heimelich unth unsichthbar und dachthen ihre Gedanken… Unsre Welth ward nicht mehr unsre Welth unth alle Magie unth Zauberkunst wich ihnen. Noch zuhr Zeith ohne Gedankhen unth Einflusz nannthen wihr sie Ichneumons.«

Ich stand auf und stellte mich ans Fenster. Das Schild „Bitte nicht hinauslehnen“ blickte mich höhnisch an.

Langsam öffnete ich das Fenster und der Wind blies mir mit voller Kraft ins Gesicht… Dann flatterte das Buch aus dem Fenster…

Einige Seiten verlor das Buch und sie wurden vom Wind erfasst und davongetragen. Eine unglaubliche Last fiel mir von meiner Seele, aber auch eine Träne fand ihren Weg in den Wind.


(Eine fantastische Kurzgeschichte von © Jonathan Dilas)
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