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Dinge, die wir nicht wissen

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Dinge, die wir nicht wissen…

Sightseeing-Tour – Besuche die Erde und lerne sie kennen

Eine Kurzgeschichte von Jonathan Dilas


1. Unsichtbarer Besuch

Eine für Menschen unsichtbare Erdbesichtigungsgruppe von sechs Besuchern, angeführt von einem Fremdenführer, besuchen die Erde. Der Fremdenführer kennt die Erde sehr gut und erklärt den unwissenden Besuchern das Verhalten der Menschen. Er hat sich als erstes Besichtigungsziel zwei Menschen ausgesucht, die gemeinsam im Bett liegen.

Fremdenführer:
So, hier sehen Sie einen männlichen und einen weiblichen Menschen.

Besucher 1:
Warum gibt es denn zwei Menschensorten? Eine reicht doch. (Besucher 1 ist sehr neugierig und will immer alles verstehen)

Fremdenführer:
Sie sind von Entstehung an in zwei Menschenarten unterteilt worden, damit sie immer wieder den Wunsch hegen, sich mit der anderen Art vereinen zu wollen. Somit ist die Fortpflanzung dieser Spezies gesichert.

Besucher 1:
Was ist Fortpflanzung?

Fremdenführer:
Fortpflanzung ist ein Ritual, das aus einem männlichen und weiblichen Menschen einen dritten macht.

Besucher 3:
Wie, ein dritter Mensch? Muss ich das verstehen?
(Besucher 3 wiederholt immer alles, weil er nichts von all dem versteht)

Fremdenführer:
Es gibt zwei Menschenarten, die wiederum werden in mehrere Altersstufen eingeteilt…

Besucher 5:
Gehen wir jetzt weiter?
(Besucher 5 ist stets gelangweilt und will das alles nur schnell hinter sich bringen)

2. Die Suche

Als nächsten Zielort wählt der Fremdenführer zwei Personen aus, die in Sesseln sitzen und sich über esoterische Dinge unterhalten.

Besucher 1:
Was machen die da?

Fremdenführer:
Sie kommunizieren.

Besucher 1:
Worüber?

Fremdenführer:
Sie suchen nach sich selbst.

Besucher 1:
Aber da sind sie doch!

Fremdenführer:
Ja, aber die wollen gar nicht da sein, wo sie sind.

Besucher 1:
Aber warum sind sie dann da?

Fremdenführer:
Sie sind schon da und wollen das auch, aber irgendwie wollen sie es nicht. Sie meinen, sie könnten sich woanders finden.

Allgemeine Verwirrung.

Besucher 1:
Warum gehen sie denn nicht dorthin, wo sie sich eher finden könnten?

Fremdenführer:
Tja, sie wissen eben nicht genau, wo das ist.

Besucher 3:
Aber da sind sie doch!

Fremdenführer:
Sie suchen eben dort, wo sie gerade nicht sind.

Besucher 2:
Sie wissen doch, dass sie da sind, wo sie sind, oder?

Fremdenführer:
In der Tat. Sie wissen immer ganz genau, wo sie sind.

Besucher 6:
Soll ich mal einen von denen dort hinbringen, wo er meint zu sein?
(Besucher 6 will immer gern ins Geschehen eingreifen)

Fremdenführer:
Nein! Das würde das Wesen völlig verwirren und wüsste dann gar nicht mehr, wo es ist.

Besucher 5:
Gehen wir jetzt?

Besucher 1:
Werden sie sich denn je finden?

Fremdenführer:
Das ist für sie noch ungewiss.

Besucher 3:
Aber da sind sie doch!

3. Beobachtungen

Die nächste Station ist ein Mensch, der auf einem Bett liegt und ein Buch liest. Der Fremdenführer führt die Besucher in die Nähe dieses Menschen und beginnt mit seiner Erklärung:

Fremdenführer:
Hier haben wir einen Menschen, der ein Buch liest.

Besucher 1:
Was ist ein Buch?

Fremdenführer:
In einem Buch befinden sich Informationen, die keine sind.

Besucher 1:
Warum braucht er Informationen, die nicht sind?

Fremdenführer:
Damit er nicht dort ist, wo er ist.

Besucher 5:
Nicht schon wieder das Thema!

Besucher 1:
Was steht denn in diesem Buch?

Fremdenführer:
Er liest über einen Menschen, der gerade ein Buch liest, und sechs Besucher und ein Fremdenführer umgeben ihn, die er nicht wahrnehmen kann und die über ihn reden.

Besucher 3:
Warum sieht er uns dann nicht? Wir stehen doch hier!

Fremdenführer:
Er glaubt es nicht.

Besucher 1:
Warum liest er es dann?

Fremdenführer:
Weil er es gern glauben möchte.

Besucher 6:
Soll ich ihm eben zeigen, dass ich hier stehe?

Fremdenführer:
Nein! Dann würde er Angst bekommen.

Besucher 6:
Wieso?

Fremdenführer:
Weil er allein ein Buch liest und nicht will, dass ihn jemand dabei beobachtet.

Besucher 3:
Aber wir beobachten ihn doch…

Fremdenführer:
Das weiß er aber nicht.

Besucher 3:
Aber es steht doch in dem Buch.

4. Missverständnisse

In einem kurzen Abschlussgespräch geht es um die schwierige Aufgabe unsterblichen Wesen etwas über die Sterblichkeit des Menschen beizubringen. Dazu stellt der Fremdenführer den Besuchern frei, Fragen zu stellen.

Besucher 1:
Was sind denn eigentlich Altersstufen?

Fremdenführer:
Die Lebenszeit der Menschen ist begrenzt. Aus diesem Grund teilen sie sich selbst in unterschiedliche Entwicklungsstufen ein. Das nennen sie den Alterungsprozess.

Besucher 1:
Sind sie nicht unsterblich?

Fremdenführer:
Doch.

Besucher 1:
Und warum sind sie dann sterblich???

Fremdenführer:
Sie wünschen sich den Tod. Darum werden sie älter und älter.

Besucher 3:
Was ist der Tod?

Fremdenführer:
Der Tod ist die Beendigung ihres Aufenthaltes.

Besucher 6:
Ich kann ja nochmal zurückgehen und ihm das sagen.

Fremdenführer:
Das ist sehr unklug. Das Wesen würde denken, dass es verrückt sei es würde dann vielleicht eingeschlossen.

Besucher 1:
Warum das denn?

Fremdenführer:
Wenn einer von uns zu ihm sprechen würde, käme seine Sinnes-wahrnehmung durcheinander und müsste rekonfiguriert werden.

Besucher 3:
Wie, rekonfiguriert? Ist das schlimm?

Fremdenführer:
Nein. Da es keine optische Wahrnehmung von uns besitzt, würde er meinen, Stimmen zu hören. In seiner Welt ist das unangenehm.

Besucher 1:
Wollen die mit uns nichts zu tun haben?

Fremdenführer:
Nein, das wollen sie wirklich nicht! Sie wollen ungestört sein und ihren Aufenthalt genießen.

Besucher 1:
Warum genießen sie den Aufenthalt, wenn sie doch nicht leben wollen?

Fremdenführer:
Das geben sie vor sich selbst ungern zu.

Besucher 3:
Das ist mir alles viel zu hoch.

Besucher 5:
Mir reichts! Ich geh jetzt.

Fremdenführer:
Sie müssen noch bis zum nächsten Prozedureinsprungspunkt warten…

Besucher 1:
Kann ich auch Mensch werden?

Fremdenführer:
Ja, sobald ein Platz frei ist…

Besucher 3:
Ich wäre bestimmt jemand, der nichts von all dem versteht.

Besucher 6:
Das bist Du doch jetzt schon!

Fremdenführer:
…Sie müssten sich auf eine Liste eintragen lassen und auf die nächste Zugangsmöglichkeit warten. Danach werden sie aufgefordert ihre vorherige Existenz zu vergessen und eine neue Identität annehmen…

Besucher 5:
Die können mich mal. Da geh ich niemals hin!

Fremdenführer:
…Fast alle Menschen wissen nicht, warum sie dort sind. Sie haben alles vergessen.

Besucher 3:
Warum sind die denn noch da?

Fremdenführer:
Sie können dort nicht mehr weg. Sie haben sich für die Sterblichkeit entschieden und warten auf die Beendigung ihres Aufenthaltes, auch wenn sie diesen Moment mehr als alles fürchten, was sie je während ihres Aufenthaltes erlebt haben mögen..

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