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Kampf um Bendar

jonathan dilas - dark fantasy story fantasy geschichte

Kampf um Bendar

Eine Dark Fantasy Kurzgeschichte für einen
Wettbewerb in „High Fantasy Literatur“ – Platz 6

„Ich kenne deine Motive nicht, Walldor. Du bist ein Jäger. Ein Mann, voll in Kraft und Blut, jenseits solcher Gedanken unsere Welt zu retten. Darum liegt es mir fern, dich in irgendeiner Form überzeugen zu wollen. Du bist, wer du bist. Vielleicht nicht mehr allzu lange, aber du bist, wer du bist“, erklärte die Elbin Nilbria und senkte wieder ihren Blick auf das Lagerfeuer.

Ihr helles Haar wurde von einem Windzug angehoben und für einen Augenblick erschien es Walldor, als hätte jemand die Zeit gedehnt. Es wehte so gleichmäßig, als wurde es plötzlich mit Leben beseelt und vollführte nun schlangengleich seinen eigenen Tanz im Feuerschein.

Ihre großen Augen strahlten mit einer unglaublichen Kraft, die ihre Schönheit und Weisheit zum makellosen Ausdruck brachten und während sie ihren Blick auf das Lagerfeuer hielt, spielte sie am Saum ihres cremefarbenen Kleides herum, das raffiniert und verträumt geschnitten war. An den Hüften war es mit goldenen Streben abgesetzt und der Stoff wurde über der Bauchpartie hin durchsichtig. Über ihre Brüste spannte sich der Stoff und war an den Seiten leicht eingerissen, während goldene, runde Kordeln über ihre Schultern geschwungen waren und am Ende kleine Schlaufen den Stoff zusammenhielten.

An den Armen war ebenfalls weicher, durchsichtiger Stoff gebunden und regte die Phantasie an, wenn man sich Nilbria stehend im Wind vorstellte. Nicht nur der goldene Armreif mit aufwendigen Verzierungen, sondern auch ein Stirnband in ähnlicher Bearbeitung verzierte ihren Körper. An ihrer Seite trug sie einen goldenen Dolch, der ebenso spitz zu sein schien wie ihre auffälligen Ohren.

Walldor konnte den Blick nicht von ihr nehmen, wie sie dort mit ihren wunderschönen, flackernden Augen Platz gefunden hatte. Erst vor wenigen Stunden waren sie sich begegnet, als er in einem harten Kampf mit einigen Barakks in den Nebelwäldern von Lemar verwickelt war. Er wehrte sich gerade gegen diese schlammfarbenen, haarlosen Gestalten mit ihrem gebeugten Gang und ihren nach außen gebogenen Beinen, als Nilbria plötzlich aus dem Dickicht hervorsprang und ihm half.

„Nun gut, ich bin dir zu Dank verpflichtet,“ unterbrach er den stillen Moment, „doch ich glaube nicht, dass ich mich in euren Kampf gegen diesen Modark von Arkantis beteiligen möchte.“

Sie blickte ihn nicht an und das verführte ihn nur noch mehr, sie heimlich zu beobachten. Er wurde den Verdacht nicht los, dass sie in der Lage war, ihrer unmittelbaren Umgebung eine Zeitdehnung aufzuerlegen, wie eine Art Zauber, der sie immerwährend wie ein Kraftfeld umgab, beinahe schon ein Attribut ihrer Aura. Andernfalls, so spekulierte Walldor, könnte es auch sein, dass diese Elbin in einer anderen Wahrnehmungs-geschwindigkeit lebte als andere Bewohner der Welt Bendar. Er erinnerte sich noch gut, als sie in dem Kampf wie aus dem Nichts erschienen war und den kräftigen Schwertstößen der Barakks mit Leichtigkeit auswich und in einer unglaublichen Geschwindigkeit drei von ihnen getötet hatte, während er noch verzweifelt versuchte, sich die anderen vier vom Leib zu halten. Sicherlich war er froh, dass sie ihm geholfen hatte, aber war dies bereits ein Grund, sie in ihrem Kampf gegen eine gewaltige Übermacht zu unterstützen?

„Arkantis war einst ein wunderschönes Land. Als Modark mit seinen Schergen auftauchte, mussten wir Elben fliehen. Es blieb uns keine Wahl. Innerhalb von Tagen hatte er es geschafft, unser Land zu erobern. Die meisten unserer Art sind nach Lemar geflohen. Nur wenigen ist es gelungen, bis in die Nebelwälder zu fliehen, so wie in meinem Fall. Unsere Anführerin Limeria und einige andere sind ebenfalls hier. Wir versuchen zumindest die Wälder frei von den brutalen Barakks zu halten, doch wir befürchten, dass Modark sich sicherlich nicht mit Arkantis zufrieden geben wird. Er wird Banti und Lemar einnehmen und deren Völker versklaven.“

Walldor war unsicher. Es könnte sein, dass Modark diesen gemeinen Plan gefasst haben mochte. Immerhin befürchteten es die Elben, denn sie waren bereits erobert und vertrieben worden. Daher nahmen sie natürlich stark an, dass den anderen das Gleiche widerfahren könnte.

„Ich möchte nicht wissen, wie viele Elben von ihm versklavt wurden und nun seinen Launen ausgesetzt sind. Ganz zu schweigen von den drei Zauberern, die sich ihm angeschlossen haben“, fuhr sie fort. „Es sind Drillinge von der Insel Goldar. Dort werden Zauberer ausgebildet und diese Drei sind verstoßen worden, weil sie das Schulsystem übernehmen wollten. Sie sind der Ansicht gewesen, die heiligen Lehrer von Goldar seien zu milde in ihren Unterweisungen.“

„Und gibt es noch weitere solcher gefährlichen Gegner?“

„In der Tat. Es gibt noch die berüchtigte Katzenfrau Ramana und den Eisenmann Foogor. Sie sind stärker als 50 Barakks und kennen keine Gnade.“

„Bist du auch auf Goldar unterrichtet worden?“, fragte er.

„Wie kommst du darauf?“

„Nun, deinen Zauber mit dieser Zeitdehnung, den du da dauernd machst.“

„Das hat mit etwas anderem zu tun. Ich will nicht darüber sprechen.“

Er bemerkte, dass Nilbria leicht unsicher wurde. Sie war trotz ihrer höchst zierlichen und augenscheinlich zerbrechlichen Erscheinung eine unglaublich starke Elbin, aber Walldor spürte, dass sie ein Geheimnis besaß, er konnte es nur nicht ergründen. Sein Vater hatte ihm vor seinem Tode gelehrt, wie man mit seinen inneren Sinnen erfühlen konnte, welche Geheimnisse und Absichten in einem Wesen verborgen sind, doch im Fall von Nilbria erschien es ihm äußerst schwierig etwas auszuspähen.

Erst nach einigen Minuten der Stille sprach sie weiter:

„Du bist zu Fuß unterwegs. Wenn du willst, dann kannst du in unser Realm kommen. Dort geben wir dir ein Pferd. Vielleicht schaffst du es in ein paar Wochen nach Katania zu kommen, denn in diesem Land sind bisher keine Barakks gesichtet worden.“

„Realm?“

„Ja, dies ist eine in der Wahrnehmung verschobene Ebene, die für die Barakks nicht so leicht aufzuspüren ist. Sie sind zu dumm dafür. Es ist wie eine Zwischenwelt, die du betreten kannst. Du wirst jedoch lernen müssen, wie man jemanden begleitet, der ein Realm betritt.“

Indes überlegte Walldor, ob er dies erlernen möchte, kam aber zu dem Schluss, dass es nicht allzu schwer sein konnte, wenn es auch die elbischen Pferde schafften. Überhaupt waren diese sehr begehrt, denn sie liefen mit der vierfachen Geschwindigkeit normaler Pferde.

Das einzige Problem war jedoch, so hörte Walldor einmal das Gerücht, dass sie weder Zügel noch Sattel mochten und dann jeden Dienst verweigerten. Sie besaßen eine sehr lange Mähne, an der man sich festhalten konnte. Walldor stellte es sich jedoch nicht einfach vor, bei solch einer Geschwindigkeit ohne Zaumzeug durch das Land zu galoppieren.

„Ja, es stimmt. Unsere Pferde mögen kein Zaumzeug“, brach es spontan aus Nilbria heraus und sie lachten gemeinsam los, denn dieses wohl zutreffende Gerücht war wirklich in ganz Bendar bekannt.

Sie löschten zur Morgendämmerung das Feuer und verließen ihren Rastplatz. Es war noch etwas dunkel und Nilbria erklärte auf dem Weg, dass man ein Realm nur zur Morgen- oder Abenddämmerung betreten konnte. Zwischenzeitlich war es nur unter sehr schweren Bedingungen möglich und wurde kaum von den Elben praktiziert.

„Es gibt bestimmte Punkte an denen man ein Realm betreten kann. Du musst nur Ausschau halten, bis du ein Tor sehen kannst. Wenn du es siehst, stelle dich hinein und verändere deinen Geist.“

„Ein Tor? Wo soll hier ein Tor sein? Wir sind im Wald!“

„In einem Wald wie diesem kannst du sehr viele Tore finden. Es können zwei Bäume sein, die sich wie Zwillinge gegenüberstehen oder ein gebogener Baum, der wie ein Torbogen aussieht. Für euch ist das nicht auffällig, uns aber springt eine Pforte ins Realm schnell ins Auge.“

Walldor schaute sich um, doch in den nächsten zwanzig Minuten konnte er einfach kein solches Tor entdecken.

„Ich sehe immer noch keins“, gab Walldor deprimiert an.

„Nicht?“, antwortete Nilbria lächelnd mit einer Gegenfrage. „Wir sind doch schon an zwei Toren vorbeigekommen.“

„Und wieso hast du nichts gesagt?“

„Ich wollte einfach nur mal sehen, ob es dir gelingt ein Tor auszumachen.“

Er schaute weiter, bis er nach weiteren zehn Minuten tatsächlich zwei Bäume ausmachen konnte, die kerzengerade in den Himmel wiesen, aber aufgrund ihrer dünnen Erscheinung eher wie Stäbe wirkten.

„Das könnte ein Tor sein…“ rief er begeistert aus.

Nilbria lächelte und Walldor war sicher, dass sie nun dachte, wenn er dieses Tor übersehen hätte, wäre ihm vermutlich überhaupt nicht mehr zu helfen, jemals in den Genuss zu kommen ein Realm zu betreten und ein elbisches Pferd zu ergattern. Doch wirklich sicher konnte man sich bei dieser hellen Elbin nicht sein. Sie galten als sehr sanftmütig, auch wenn es einige dunkle Geschichten über sie gab. So wurde behauptet, dass manche Elben magische Kreise anlegten, um unschuldige Menschen in ihr Reich zu locken. Sie wurden dann in der Zeit verschoben und derart verflucht, dass ihre eigenen Kinder zu Greisen geworden waren und ihren verschollenen Elternteil nur selten wiedererkannten.

Dies war stets eine der gruseligsten Geschichten aus der Kindheit gewesen, von denen ihm je erzählt wurden. Sein Vater wusste, wie man einen Krieger heranzieht. Entweder ließ man sich durch die Furcht besiegen oder man wurde eines Tages ein Krieger, der sich den Herausforderungen des Lebens stellt. Trotzdem warf Walldor immer wieder kurz einen misstrauischen Blick zu ihr herüber.

Nun stellten sich die beiden zwischen die zwei Bäume und Nilbria machte eine seltsame Bewegung, als öffnete sie eine Tür, die es gar nicht gab. Nun spürte Walldor einen scharfen Windzug. Er konnte es kaum glauben! Dieses unsichtbare Tor schien es wirklich zu geben.

„Was hast du da gemacht?“, fragte er mit leiser Stimme, als wollte er niemanden stören.

„Dies ist eine magische Bewegung. Mit ihr kannst du verborgene Tore öffnen. Also, folge mir, mein Freund, oder verbleibe in der Welt der Menschen.“

Walldor zögerte noch, denn eigentlich liebte er die menschliche Welt. Und vor allem, wenn diese dunklen Geschichten doch stimmten, dass es Elben gab, die Menschen in ihr Reich lockten, nur um sie aus Spaß zu verfluchen.

„Nun komm schon!“, sagte sie und er nahm deutlich wahr, wie sie zur Hälfte ins Nichts verschwand. „Denk dran, du hast nur eine kurze Zeitspanne, sonst schließt sich das Tor wieder. Und tritt genau in meine Fußstapfen, sonst bleibst du draußen und musst nach Katania laufen.“

Das letzte Wort hallte noch ein wenig nach und dann war sie gänzlich verschwunden.

Gleichzeitig kämpfte Walldor mit sich selbst, denn seit ihn das Misstrauen überfallen hatte, war er seiner kommenden Schritte wegen ziemlich unsicher. Eigentlich wollte er doch nur nach Katania. Dort gab es Sicherheit und Reichtum für alle Ankömmlinge und die schönsten Frauen, so hieß es, aber auch einige seiner alten Freunde könnte er dort gewiss wiedertreffen.

Plötzlich vernahm er Nilbrias Stimme nah an seinem linken Ohr: „Hab keine Angst! Sei ein Krieger!“

Walldor fasste sich ein Herz und schritt durch das Tor…

Erstaunt schaute er sich um. Es hatte sich in der Umgebung eigentlich nichts weiter verändert. Die Bäume standen noch immer dort und der Weg, den sie gegangen waren, war ebenfalls noch deutlich sichtbar. Nur eine Kleinigkeit fiel ihm auf, dass alles um ihn herum in einen silbrigweißen Nebel gehüllt war.

Nun sah er auch Nilbria wieder neben sich stehen.

„Da bist du ja. Schön, dass du mir gefolgt bist.“

Ihre warme und helle Ausstrahlung bezauberte ihn unmerklich immer mehr. Einer Elbin zu widerstehen, war nicht einfach. Das erste Mal begegnete Walldor einer Elbin in seiner Kindheit. Sie trug dunkle Kleidung und hatte ihn zu sich locken wollen, doch sein Vater hatte ihn davor gewarnt, mit ihnen zu gehen, solange man noch ein Heim besitzt, zu dem man zurückkehren wolle. Ihre Erscheinung verzauberte stets direkt und obwohl man keine sexuellen Absichten mit Elben hegte, konnte man jedoch nur schwer den Blick von ihrer ätherischen Erscheinung nehmen.

„Warum hast du mich in euer Realm mitgenommen?“

„Wir haben Seite an Seite gekämpft und ich möchte dir helfen, dass du dein Glück in Katania findest.“

Sie gingen weiter in den Wald hinein. Unterwegs trafen sie auf Rehe, die sie nicht sehen oder wittern konnten. Sie blickten sich zwar um, aber sie schienen die beiden Kämpfer nicht zu bemerken. Denn diese befanden sich in einer magischen Nebenrealität, in der sie alles wahrnehmen konnten, aber selbst nicht gesehen wurden.

„Sind sie auch nicht in der Lage, uns zu wittern?“

„Sie nehmen uns nur wahr, wenn wir sehr nahe an sie herangehen. In deinem Fall würden sie die Flucht ergreifen, weil sie fühlen, dass du ihresgleichen isst, aber uns lassen sie immer nahe heran, auch wenn wir nicht im Realm sind.“

„Wovon ernährt ihr euch denn?

„Wir ernähren uns nicht. Wir leben von unserer inneren Energie und vom Licht anderer Realms, die es noch gibt. Wir trinken gelegentlich nur Wasser oder Nektar“, erklärte sie ihm geduldig.

Walldor staunte über ihre Ausführungen. Er konnte sich nicht vorstellen, ohne Nahrung zu leben. Es würde ihm gewiss etwas fehlen, wenn er kein Reh oder Wildschwein mehr essen könnte.

Langsam kamen sie auf ein Lager zu, das von unzähligen Ranken und verzierten Steinsäulen umgeben war. Sie schritten durch eine Öffnung, die künstlich angelegt worden war und Walldor fielen gleich einige Pavillons auf, die sich rund um einen kleinen See gruppierten. Aus dem Nichts tauchten die ersten Elben auf und begrüßen Walldor und Nilbria, wie sie langsamen Schrittes auf den größten Pavillon zuliefen, der zu erkennen war.

Walldor grüßte einige männliche Elben unbeholfen zurück, die neugierig zu ihnen hinübersahen, und schaute so unauffällig wie möglich auf ihre Bewaffnung. Sie trugen Langbögen mit goldenen Sehnen.

„Ihre Sehnen sind aus den Schweifen der elbischen Pferde gemacht. Ihre Elastizität ist unglaublich vorteilhaft. Doch nun schaue nach vorn, denn ich werde dich unserer Anführerin vorstellten.“

Sie betraten den Pavillon und nachdem sie einige Ranken zur Seite geschoben hatten, erblickten sie die Anführerin.

Wie in einem Traum bewegte sie sich auf die beiden Krieger zu und sagte mit einer sanften Stimme:

„Willkommen, mein Name ist Limeria. Seid gegrüßt.“

Ihr roséfarbenes Gewand mit goldenen Pailletten und einem lichtgrünen, durchsichtigen Umhang, der ausladend über den Boden fiel und bei jeder Bewegung zu rascheln begann, beeindruckte Walldor zutiefst. Ihr bleiches, aber dennoch wunderschönes Gesicht war mit einer milchigweißen Aura umgeben, als strahlte Limeria von innen heraus eine magische Kraft aus. Ihre dunkelblauen Augen fixierten Walldor bestimmt, aber freundlich. Für einen Moment erschien es ihm, als wollte sie tief in sein Herz schauen, um seine Motive zu erkennen.

„Sei gegrüßt, Limeria. Wir sind uns unweit von hier begegnet, als Walldor in einen Kampf mit Barakks verwickelt war. Wir haben sie gemeinsam entkörpert.“

Eine äußert freundliche Umschreibung für ihren kurzen und blutigen Kampf gegen diese brutalen Kämpfer, dachte sich Walldor.

„Gut. Und wie sieht dein Plan nun aus?“

„Ich möchte Walldor ein Pferd geben, damit er nach Katania fliehen kann“, erklärte Nilbria.

„Das ist weise gedacht, denn du weißt, er darf nicht so lange hier bleiben.“

Ihn beschlich bei dieser Aussage das Gefühl, als wüssten die beiden etwas, das er nicht wusste. Was könnte denn geschehen, wenn er zu lange bliebe? Würde er dann zu Staub zerfallen, an Atemnot sterben oder verhungern? Er wusste es nicht. Sein fragender Blick blieb auch unbeantwortet.

„Unsere Späher haben in Erfahrung gebracht, dass eine Armee der Barakks aufgestellt wurde, um Lemar einzunehmen. Banti ist gestern Nacht gefallen.“

Nilbrias Augen wurden groß vor Erstaunen. „Banti ist gefallen? In nur 24 Stunden? Wie steht es um den König aus diesem Land? Er ist ein weiser und ehrenvoller Mann…“

„Er wurde mit einigen Gefangen zusammen auf grausame Art getötet. Ich möchte dir Einzelheiten ersparen“, antwortete Limeria.

„Wie konntet ihr es so schnell herausfinden?“, fragte Walldor, der seine Neugier nicht zurückhalten konnte.

„Wir haben einige Elben, die an ferne Orte blicken können“, erklärte Nilbria ihm schnell.

„Dann ist es Zeit, dass du deinem Freund den Weg weist.“ Limeria wandte sich Walldor zu und nickte ihm freundschaftlich zu. „Gehe deinen Weg. Lebe wohl.“

„Vielen Dank für Eure Hilfe. Lebt wohl, Limeria“, verabschiedete sich Walldor.

Als Nilbria und Walldor den Pavillon wieder verließen, quälte ihn ein schlechtes Gewissen, denn langsam beschlich ihn das Gefühl, er würde diese wunderschönen Geschöpfe zurück und im Stich lassen. Doch auf der anderen Seite wusste er auch, dass sie sich zu verteidigen wussten und gewiss einen guten Plan ersonnen hatten. Mit diesem Gedanken beruhigte er sich und konnte sich mit seinen Gedanken an das kostbare Pferd ablenken.

Sie gingen ein wenig um den See herum und immer wieder tauchten Elben auf, die ihnen zunickten und interessiert schauten. Walldor überlegte, ob sie Nilbria vielleicht vermisst oder dass sie vielleicht noch nie einen Menschen in ihrem Realm angetroffen hatten.

„Wieso schauen sie mich so an?“, fragte er dann doch neugierig.

„Wir nehmen kaum Menschen mit in unser Realm“, entgegnete Nilbria, doch dieses seltsame Grinsen auf ihren Lippen wunderte ihn.

Dann erblickte er schon eine Reihe von Pferden, die an einer Leine festgemacht waren.

„Nimm das rechte Pferd. Es ist für dich bereitgestellt worden. Es hört auf den Namen Vasahl.“

„Und wie komme ich wieder aus dem Realm heraus?“

„Das Pferd weiß, wie man es verlässt. Wenn du schneller reitest, als du zu Fuß bist, dann wird es instinktiv das Realm verlassen. Der Austritt ist viel einfacher als der Eintritt.“

„Ich danke dir, Nilbria. Es war mir eine große Ehre, dich kennengelernt zu haben. Und ich danke dir für dein Vertrauen, mir deine Welt gezeigt zu haben.“

„Die großen Geister haben uns zusammengeführt und aus diesem Grunde hatte ich beschlossen, dir auf deinem Weg zu helfen, was auch immer geschehen mag. Ich weiß nicht, wieso sie uns zusammengeführt haben, aber vielleicht werden wir es irgendwann erfahren.“

Es fiel ihm schwer seinen Blick von ihr zu nehmen, gerade jetzt, wo der Abschied so nah war. Er wusste, er würde diesen zauberhaften Anblick vermissen.

Mit einem Ruck wandte er sich ab und bestieg das Pferd.

„Oh, ich werde mich daran gewöhnen müssen. Es drückt doch ein wenig zwischen den Beinen“, meinte Walldor und sie lachten.

Langsam ritt er davon und drehte sich ein letztes Mal um, damit er ihr zum Abschied zuwinken konnte.

Der Vormittag brachte bereits eine angenehme Wärme mit sich und während Walldor mit einer hohen Geschwindigkeit durch Wälder und Felder ritt, genoss er den Wind, der ihm eine schöne Erfrischung bescherte.

Der Kopf des Elbenpferdes bewegte sich rhythmisch zum Galopp und Walldorf fragte sich nach einigen Stunden, wie lange es dieses Tempo wohl durchhalten konnte. Plötzlich wieherte das Pferd und blieb abrupt stehen. Es schnaubte und weigerte sich auch dann weiterzureiten, als Walldor mit den Hacken gegen seine Seite stieß. Es bäumte sich auf und machte Anstalten umzukehren.

Walldors Gedanken rasten. War es vielleicht eine Falle der Elben gewesen, ihm dieses Pferd zu geben? Vielleicht wollte es wieder zurück oder weigerte sich das Gebiet um den Nebelwald überhaupt zu verlassen oder solche Pferde konnten nur von Elben verstanden werden…

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er mit Schrecken den Grund für das Verhalten des Pferdes erkannte! Aus dem Dickicht entstieg ein Koloss von einem Mann! Er war sicherlich über zwei Meter groß und trug eine gewaltige Axt in seinen Händen. Sein Kopf war mit schwulstigen Fettpolstern umgeben, die seinen Hals schützten. Zwei gewaltige Lederarmbänder waren um seine Unterarme geschlungen und riesige metallene Stacheln blitzten Gefahr verheißend in der Sonne. Doch dem nicht genug, ein Eisenpanzer bedeckte seine Brust und bot ihm so hervorragenden Schutz gegen Schwert und Bogen.

Verzweifelt versuchte Walldor das Elbenpferd dazu zu bewegen, die Gefahr zu umreiten, aber wie von einem Zauber gebannt scheute es und gehorchte ihm nicht mehr. Ihm blieb nichts anderes übrig als abzusteigen, schon allein aus dem Grund, damit dem kostbaren Pferd nichts widerfuhr.

Nachdem er abgestiegen war, zog Walldor langsam sein Schwert aus der Scheide.

Kümmerlich klein wirkte es im Vergleich zur riesigen Axt, die dieser verunstaltete Mann mit dem eisernen Brustpanzer leicht in seiner Hand trug, als sei sie nur der Wanderstab eines alten Mannes.

„Wer seid Ihr?“, rief Walldor dem riesigen Mann zu. Doch dieser dachte nicht daran, ihm zu antworten.

In der nächsten Sekunde verknüpften sich die Geschehnisse zu einem kompletten Bild, als zusätzlich noch einige Barraks hinter dem gewaltigen Mann auftauchten.

Das Eisen… die Barraks… Es war der Eisenmann, von dem Nilbria berichtet hatte! Entsetzt musste Walldor erkennen, dass dieser Oberschurke Modark vielleicht doch geplant hatte, als nächstes Lemar zu erobern, indem er ständig einige seiner Vasallen voraussandte. Aus welch anderem Grund mussten sich denn die Elben im Nebelwald immer wieder gegen neu ankommende Barraks wehren? Doch wieso waren sie ihm nun hier aufgelauert und wie war es ihnen gelungen, schneller als ein elbisches Pferd zu sein? Hatten sie ihn und Nilbria bei dem Kampf gesehen und vermuteten nun, dass er gemeinsame Sache mit den Elben machte?

„Was wollt Ihr? Lasst mich in Ruhe!“ rief Walldor, um seinen Gedanken mehr Zeit zu geben und einen Ausweg zu finden.

Der Koloss trat einen Schritt vor und öffnete seinen riesigen Mund: „Du wirst sterben! Du bist ein Freund der Bleichen!“

Walldors Vermutung erwies sich als richtig.

„Ich bin kein Freund der Elben! Wie kommt ihr darauf? Ich bin nur unterwegs nach Westen, um Freunde zu treffen.“

Ein großes Gelächter folgte unter den Barraks und dem Eisenmann. Nun wies dieser auf das Elbenpferd und schrie: „Und was ist das? Ein Pferd der Bleichen! Sie geben niemals einem Fremden eins ihrer Pferde! Los, tötet ihn!“

Für Walldor gab es kein Zurück mehr. Es war völlig gleichgültig, ob er nun ein Freund der Elben war oder nicht. Das Pferd war Zeugnis genug, dass er mit ihnen sympathisierte, also musste Walldor kämpfen und darauf hoffen, dass der Eisenmann zu schwerfällig für seine Klinge war. Trüge er den Sieg davon, so könne er das Pferd behalten und seinen Weg fortsetzen. Welcher Zauber auch immer dafür gesorgt hatte, das Pferd zum Stehen zu bringen, würde gewiss verblassen, wenn der Eisenmann stürbe.

Nun waren die Barraks nur noch wenige Meter entfernt. Walldor schwang sein Schwert im Handgelenk, wich dem ersten Barrak aus und tötete mit einem Hieb einen zweiten und dritten. Als sich der erste Barrak wieder umgedreht hatte und in seine Richtung lief, musste dieser mit Schrecken erkennen, dass seine Begleiter bereits ihren Tod gefunden hatten. Mit geweiteten Augen musste auch er zusehen, wie Walldors Schwert ihn niederstreckte.

„Du hast gut gekämpft, Fremder! Nenne er seinen Namen!“, rief ihm der Eisenmann zu.

„Mein Name ist Walldor aus Lemar.“

„Gut! Nun kann ich davon berichten, wie ich den Krieger Walldor aus Lemar tötete, seinen Kopf auf einen Spieß steckte und ihn an den Wegesrand platzierte, damit jeder sehen kann, welches Schicksal ihn ereilt, wenn er sich mit mir anlegt.“

Dann trampelte der Koloss auf ihn zu. Er spürte jeden seiner Schritte leicht vibrierend durch seine Fußsohlen bis nach oben bis zum Hals aufsteigen. Der Eisenmann wirbelte mit der Axt umher und Walldor wich immer weiter zurück. Nun schlug der Koloss zu – Walldor konnte gerade noch ausweichen und schlug mit seiner Klinge gegen die Brust des Eisenmannes. Funken sprühten, doch dieser Schlag hatte nichts bewirkt, der Eisenmann wurde nicht einmal von seinem harten Hieb zurückgeworfen.

Er drehte sich um und gab einen markerschütternden Schrei von sich. Walldor zuckte zusammen, doch in Erinnerung an seine Ausbildung wollte er sich nicht einschüchtern lassen. Wild und schreiend lief er dem Eisenmann erneut entgegen. Im gleichen Augenblick erhob der Eisenmann seine gewaltige Axt. Walldors Ziel war es diesmal nicht, ihn zu verletzen, sondern erst einmal den hölzernen Stiel der Axt zu durchtrennen.

Als der Eisenmann zuschlug, glitt Walldors Klinge durch den Stiel der Axt. Wie ein Mehlsack fiel die Axtklinge zu Boden und der Eisenmann stolperte unter der Wucht seines eigenen Schlages einige Meter weiter.

Walldor hatte schnell mit seinem Schwert die Axtklinge vom Boden angehoben und in die Büsche fliegen lassen.

„Nun schwerfälliger Mann, was sagt Ihr ohne Eure beliebte Axt?“ rief Walldor, um ihn zu verunsichern.

Doch der Eisenmann griff unter seinen Panzer und holte einen Morgenstern hervor, der sogar noch mit vertrocknetem Blut befleckt war.

„Hohohoho…“, rief der Eisenmann grollend und Walldor glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

Plötzlich surrte etwas an Walldors linkem Ohr vorbei, zwei oder drei Mal. Den Bruchteil einer Sekunde darauf steckten drei Pfeile im Hals des Eisenmanns. Seine Arme ruderten und der Morgenstern schliff über den Boden, während er zurücktaumelte. Doch diese Pfeile konnten ihn nicht stoppen. Er schüttelte mit dem Kopf, als wollte er nur lästige Fliegen von sich schütteln. Es war deutlich abzusehen, dass der Eisenmann sich schnell wieder erholen würde.

Dann trat Nilbria an Walldors Seite, in ihren Händen ein elbischer Langbogen. Die goldene Sehne funkelte im Sonnenlicht.

„Da bist du ja endlich! Wo hast du nur so lange gesteckt?“, bemerkte Walldor ironisch.

„Ich dachte mir, dass es dir bestimmt gefallen würde, wenn du nachher behaupten könntest, ich sei ohnehin erst zum Ende des Kampfes hinzugekommen. Immerhin hast du es hier mit Foogor zu tun, dem Eisenmann!“

Walldor nickte und sein Nicken verwandelte sich in den Hinweis, dass Foogor sich wieder erholt hatte.

„Dann zeig mal, was in dir steckt, Walldor. Ich werde dir ein wenig zur Seite stehen.“

Im gleichen Moment raste Nilbria in einer unglaublichen Geschwindigkeit rechts an dem Eisenmann vorbei und ihr Schwert traf mehrere Male seine Arme und Beine und riss tiefe Wunden. Doch mit einem Schlag seiner linken Hand konnte der Eisenmann sie kurz erwischen und wie eine Stoffpuppe flog Nilbria mehrere Meter durch die Luft. Schreiend rannte Foogor in Nilbrias Richtung und schwang lebensgefährdend seinen Morgenstern, um ihr den Garaus zu machen.

„Nein!“, rief Walldor und rannte hinter dem Eisenmann her. Entschlossen, schneller als er zu sein, hob Walldor sein Schwert über den Kopf, ergriff es fest mit seinen Händen und wollte es dem Eisenmann in den Rücken rammen, dort, wo sein Eisenpanzer zusammengehalten wurde und eine Naht aufwies.

Foogor erhob seinen Morgenstern und war im Begriff, Nilbria zu töten, doch Walldor war um eine Sekunde schneller und rammte das Schwert mit all seiner Kraft in seinen Rücken. Augenblicklich ließ der Eisenmann den Morgenstern fallen und riss die Arme in die Luft. Ein markerschütternder Schrei erfüllte die Umgebung.

Nilbria rollte sich zur Seite, um den fallenden Morgenstern nicht abzubekommen und stand wenige Augenblicke später neben Walldor.

Der Eisenmann war bereits auf die Knie gefallen, bis auch diese ihn nicht mehr halten konnten und er nach vorn in seinen eigenen Morgenstern fiel. Eisen traf auf Eisen und gab ein krächzendes Geräusch von sich.

„Ich kann es gar nicht glauben“, sagte Nilbria, „du hast den Eisenmann besiegt. Das ist ein Zeichen!“

Walldor war nicht zum Reden zumute. Er hatte in diesem Kampf keinen Kratzer davon getragen, aber er hatte bemerkt, dass er für einige Momente Angst um Nilbria empfunden hatte. Ihn hatte dies mehr getroffen als alles andere, denn wie sollte er nun seinen Ritt nach Katania fortsetzen, wenn er sie nicht sterben lassen konnte.

Es war geradezu deutlich, dass er bereit sein musste, sie sterben zu lassen, wenn er für immer nach Katania gehen würde. Nur aus diesem Grunde nickte er, als Nilbria von einem Zeichen sprach. Für ihn war seine Sorge um sie ein Zeichen des Schicksals.


© Eine Fantasygeschichte von Jonathan Dilas

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