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Staatenlos: Höhle und Kloster Gouverneto (Teil 13)

Reisefieber und staatenlos

‚Staatenlos‘ ist eine Rubrik, in der ich Artikel von meiner Reise durch Europa verfasse, über die Abenteuer, die auf mich warten und mit Fotos und Videos untermalt werden. Diese Artikel erscheinen nicht immer auf der Hauptseite! Also immer wieder mal auf der linken Seite auf diese Kategorie klicken und nachschauen, ob ein neuer Artikel, ein Foto oder Video veröffentlicht wurde…

Ich befand mich gerade in der Stadt Kolympari auf der Insel Kreta und war wieder einmal bei der uralten Frau mit den weißen, wirren Haaren, die in alle Richtungen abstanden. Es war einfach unmöglich, an ihrem Haus vorbeizugehen, wenn ich den Müll entsorgte. Kaum erblickte sie mich, rief sie mich eifrig winkend zu sich ins Haus…

Bei meinem letzten Besuch hatte ich ihr eine Heilsalbe mitgebracht, die ihren schmerzenden Beinen, die nicht mehr so recht die Muskelkraft aufbringen wollten, um gehen zu können, welche sie ein wenig bei der Heilung unterstützen sollte. Als ich mich hinsetzte, redete sie gleich los wie ein Wasserfall. Ständig huschten ihr Worte über die Lippen, die jedoch meine Wenigkeit nicht sonderlich verstand. Gut, einige griechische Worte hatte ich mittlerweile gelernt, aber die reichten bei weitem nicht aus, um überhaupt zu verstehen, was sie von mir wollte. Jedenfalls wurde mir klar, was sie mir mitzuteilen versuchte, denn es kam plötzlich ein älterer Mann herein und setzte sich zu uns. Sein Englisch war ganz gut und schon konnte ich mich mit der alten Frau unterhalten.

Sie sprach über ihren Sohn, der, ebenso wie sein Vater, in Griechenland umherzog und mit seinen Tänzen öffentlich auftrat. Außerdem berichtete sie mir, dass es ihr nun viel besser ginge und sie wieder fit und gesund sei. Zur Überraschung aller konnte sie sogar wieder ein wenig aufstehen. Mit der überaus freundlichen Gastfreundschaft servierten sie und ihre Tochter Kaffee und Kekse, aber es war eine arme Familie, denn das Haus bestand nur aus einem großen Wohnschlafzimmer und einer Küche mit großer Terrasse. Weitere Zimmer waren nicht vorhanden. Mehr als 100 Euro Miete zahlte sie für dieses kleine Haus sicherlich nicht, wenn es ihr nicht sogar gehörte.

Wir unterhielten uns über belanglose Dinge und die alte Frau erzählte aus ihrer Vergangenheit. Die Nazis alter Tage und wie die Griechen mit ihnen umzugehen pflegten, darüber verlor sie glücklicherweise kein Wort mehr, immerhin war sie glücklich darüber, dass es ihr nun besser ging. Ich war überzeugt, es fehlte ihr nur an Aufmerksamkeit bzw. Energie, die sie wieder frisch belebte – und die hatte sie nun bekommen. Alte Menschen langweilen sich sehr, denn sie sind für Jüngere nicht nur uninteressant, sondern auch nahezu unsichtbar. Niemand ist unauffälliger als jemand, der uralt ist und auf einer Bank sitzt – solange man sich nicht mit erhobenem Krückstock über schreiende Kinder und kackende Hunde aufregt.

Nachdem der Kaffee ausgeschlürft und die Kekse vernichtet waren, erhob ich mich und verabschiedete mich von der alten Frau. Sie schaute ein wenig traurig, weil sie spürte, dass wir uns heute zum letzten Mal sehen würden. Auch ich spürte es, obwohl ich sagte, dass ich mal wieder hereinschauen würde. Meine Hilfe, die ich hatte anbieten können, war ausreichend genug gewesen, damit es ihr wieder besser ging. Was sollte ich mich weiter in ihr Leben einmischen? Also verabschiedete ich mich und verließ ihr kleines Haus.

Ich hatte mich in Kolympari ganz gut eingelebt, aber so sehr gefiel mir die Stadt auch wieder nicht. Es waren nun vier Wochen vergangen und ich dachte mir, dass ein Tapetenwechsel vom Norden in den Süden Kretas sicherlich neue Perspektiven eröffnete.


Kurz darauf fand ich in der Stadt Paleochora ein hübsches Haus mit drei Zimmern, einer großen Veranda und einem Strand direkt vor der Tür! Das war eine fantastische Chance, denn den Norden Kretas hatte ich bisher sehr gut erkundet, mir den Süden einmal näher anzuschauen.

Aber bevor ich nach Paleochora gehen wollte, hörte ich von der Höhle Gouverneto und dem gleichnamigen Kloster in der Nähe von Stavros, nördlich von Chania. Das war doch von Kolympari aus betrachtet nahezu gleich um die Ecke…

 

 

Ich stellte meinen Wagen vor dem Klostergarten ab. Als ich hineinging, sah ich einen Weg, der mit flachen Steinen ausgelegt war und gleich eine Klosteratmosphäre verbreitete. Ich kam mir vor, als würde ich mich gerade auf dem Weg zum Obermönch machen, der mich dann in Martial Artsunterrichten würde. Ich dachte an Augenblicke aus Filmen, beispielsweise „Kill Bill„, als die Hauptdarstellerin zu einem Kampflehrer geschickt und dort bis auf das Äußerste gequält wurde und tonnenschwere Wasserkrüge die endlosen Klosterstufen nach oben und wieder nach unten schleppen musste. Glücklicherweise lag es mir fern, mich in asiatischen Kampfkünsten unterrichten zu lassen und ich war einfach nur zu Besuch.

Vor dem Kloster stehend war ich dann doch etwas enttäuscht. Zum Einen war ich mit meiner Ankunft um 14 Uhr einfach zu spät dran, denn die Öffnungszeiten begannen um 5 Uhr morgens und endeten um 12 Uhr mittags. Und zum Anderen sah das Gebäude überhaupt nicht nach einem Kloster aus, sondern nach einem stinknormalen Haus, das mittlerweile in seine Jahre gekommen war und ziemlich baufällig wirkte.

Ich überlegte, ob ich wieder gehen und mir ein anderes hoffentlich spannenderes Ziel heraussuchen sollte, als mir wieder einfiel, dass ich doch noch die Höhle entdecken wollte.


So durchquerte ich den Klostergarten und lief am anderen Ende hinaus. Dort gelangte ich auf einen ebenso ausgelegten Steinpfad mit flach eingelegten Stufen. Ich ging ungefähr eine halbe Stunde lang bergab diesen Weg entlang, bis ich auf eine Ruine zukam. Es war ein zerfallenes Haus und rechts daneben befand sich ein altes Eingangstor aus Holz.

 

Langsam ging ich darauf zu und öffnete es. Eine kleine Treppe hinunter und kurz darauf stand ich auch schon am Eingang zu einer großen Höhle. Das war die Höhle Gouverneto oder auch die Bärenhöhle genannt. Wieso sie so genannt wurde, durfte ich dann auch gleich erkennen, denn inmitten der Höhle stand ein großer Felsen, der wie ein Bär aussah, der auf vier Beinen stand und seinen Kopf erhob. Links neben dem Bärenfelsen erkannte ich im Zwielicht der Höhle eine Treppe mit vielleicht sechs oder sieben Stufen. Ich ging sie hinauf.

Nun stand ich neben dem Kopf des Bären und entdeckte, dass dieser oben ganz eben war. Zudem war ein Loch in seinem Scheitel eingefügt worden, in dem Asche und eine abgeschnittene braune Haarsträhne lag – vermutlich weiblich. Überhaupt befand sich auf der Höhe des „Bären“ ein großes rechteckiges Becken, groß wie vier Badewannen, zu der sogar eine kleine Treppe führte.

Als ich mir das so betrachtete, erhielt ich den Eindruck, dass dieses Becken mit Wasser angefüllt werden könnte, um darin zu baden. Außerdem könnte die Vertiefung auf dem Kopf des Bären eine Art Opferschale sein. Gemeinsam dürfte diese Kombination eine Art Ritual sein, um seinen Körper zu heilen – falls man an einer Krankheit leidet. Dies würde zumindest Sinn ergeben, wenn man bedenkt, dass die Kraft eines Bären sehr stark sein und damit sicherlich auch heilen kann. Doch wem gehörte die Haarsträhne, die in der eingelassenen Räucherschale lag? War es eine einsame Wanderin gewesen, die als Symbol ihres Wunsches nach Heilung eine ihrer Haarsträhnen abgeschnitten und dort hineingelegt hatte?

Wie oft hatten hier früher Menschen in diesem Becken gelegen und Räucherungen durchgeführt? Waren sie danach geheilt oder trat diese erst nach vielen Tagen, Wochen oder Monaten ein? Niemand konnte diese Frage in diesem Moment beantworten, aber es war eine sehr interessante Höhle, das auf jeden Fall.

Ich lief noch ein wenig in der Höhle herum, schaute mir alles genau an. An einer Stelle entdeckte ich einen schmalen Zugang, nach dem es vielleicht weiter in die Höhle ging, aber da hätte ich meine ganze Kleidung versaut, sprich, ich war für eine solche Expedition nicht entsprechend gekleidet. Also ging ich zurück und verfolgte einen anderen Pfad, der mich auf eine höhere Ebene in der Höhle brachte. Von dort oben wirkte der Bär auf dem Hauptplatz viel kleiner.

Dann entdeckte ich dort einen riesigen Felsen, der mir den Weg versperrte, aber es sah so aus, als würde es dahinter noch tiefer in die Höhle hineingehen. Hierfür hätte ich etwas Kletterausrüstung gebrauchen können. Der Felsen war einfach zu glatt und ich konnte mich mit meinen Händen nirgends festhalten. Also beschloss ich, wieder zurückzugehen und die Höhle zu verlassen.

Draußen angekommen, kam mir ein Mönch entgegen. Er grinste mich an und ich fragte ihn, wohin der Weg den noch führe. Er meinte, weiter unten käme ein sehenswürdiges altes Kloster und man könne den Weg unter einer Stunde schaffen.

Der steinige Pfad war sehr leicht zu gehen, aber ich musste bedenken, dass ich später diesen auch wieder zurückzugehen hatte. Ich entschied mich dafür, den Weg trotzdem zu gehen. Nach einer guten dreiviertel Stunde kam ich zu einer sehr langen Treppe – so, wie es sich nun mal für ein Kloster gehört. Rechts von der Treppe konnte ich in die Tiefe einer kleinen Schlucht schauen. Dort hatte sich einst ein Fluss bewegt, der zwischenzeitlich ausgetrocknet war. Auch gab es am Ende der Schlucht eine kleine Bucht.

Dann stieg ich kurzerhand die Treppe hinab und auf dem halben Weg entdeckte ich links von mir den Zugang zu einer weiteren Höhle. Am Eingang lagen einige Getränkeflaschen, in denen Wasser oder Tee enthalten war – das war aufgrund der Farben der Flüssigkeiten meine nächste Annahme. Ebenso befand sich neben den gebunkerten Getränkeflaschen ein kleiner Jesus-Schrein. Hier konnte man beten und meditieren, wenn man wollte.

Als ich dann tiefer in die Höhle ging, wurde diese immer schmaler und niedriger. Irgendwann musste ich mich bücken und stand gleichzeitig in absoluter Dunkelheit herum. Ich holte mein Smartphone heraus und aktivierte die Taschenlampenfunktion. Der Lichtkegel wurde fast gänzlich von der dichten Schwärze der Dunkelheit aufgefressen und ich konnte keine zwei Meter weit sehen. Einige Male drohte ich sogar, trotz meiner rutschfesten Schuhsohle, auszurutschen, weil der Boden sehr glatt war. Die Höhle wurde irgendwann so niedrig, dass ich hätte kriechen müssen. Das überließ ich dann eher den Eifrigen, die mir noch folgen würden.

Erneut draußen im Tageslicht, ging ich weiter die Treppen hinunter. Nachdem ich unten angekommen war, führte mich eine weitere Treppe auf einen großen Platz. Dort standen mehrere Ruinen, die niemand mehr zu nutzen schien. Weiter links von der Ruine gab es eine kleine Treppe, die zum Kloster führte, von dem der Mönch gesprochen hatte.

Die Tür zum Kloster war verschlossen! Mist! Was nun? Gern hätte ich mich darin umgesehen. War ich auch hier zu spät an der Reihe gewesen?

Die Tür bestand aus mehreren kleinen Glasscheiben und war ansonsten aus altem Metall gebaut. Sie war bestimmt einmal erneuert worden. Doch dann entdeckte ich, dass eine der Glasscheiben fehlte. Ich griff mit der Hand hindurch und konnte innen einen Mechanismus finden, mit dem ich die kleine Klostertür öffnen konnte…

Quietschend öffnete sich die Tür und ich trat hinein. Innen sah ich links drei… Beichtstühle, würde ich mal sagen. Rechts gab es eine lange Bank, auf die man sich setzen und warten konnte. Früher konnte man hier vermutlich hin, um zu beichten oder zu beten. Mittlerweile jedoch nutzte dies niemand mehr. Man konnte hier Kerzen entzünden und auch in die Beichtstühle hineinschauen. Niemand war hier! Ich war ganz allein…

Durch den linken Beichtstuhl konnte man in einen Hinterraum gelangen. Dort erwartete ich nun den geheimen Zugang zum Hauptteil des Klosters. Doch leider führte auch dieser Weg in eine Sackgasse. Es folgte keine weitere Tür. Auch im Hauptraum mit den Kerzen, von denen sogar einige frisch angezündet worden waren, gab es keine weitere Tür! Wo war also der Zugang?

Nachdem ich sicher war, dass es dort keinen weiteren Zugang gab, verließ ich den Raum. Dann erkannte ich links von mir einen Brunnen mit einem silbernen Metalleimer. Der Brunnen war mit einem Holzgerüst verziert worden, an dem eine Glocke hing. Ich ging hin und sah, dass jemand frisches Wasser aus dem Brunnen gezogen hatte. Wieso hatte man Wasser herausgeholt und es nicht mitgenommen? War es für mich gewesen, weil ich den Weg heruntergelaufen war und schon ein wenig bereut hatte, dass ich nichts zum Trinken mitgenommen hatte. Das leckere Wasser in der Wasserflasche lag nämlich trinkbereit in meinem Auto…


Ich schaute mich noch weiter um auf dem großen Platz mit den Ruinen, doch ich konnte keinen Eingang entdecken, der mich noch tiefer ins Kloster geführt hätte. Nun war ich schon über einer Stunde hier und die Dunkelheit brach ein. Der Weg war schmal gewesen und außerdem musste ich sicherlich noch 1-2 Stunden bergauf zurücklaufen. Allein die vielen Treppen, die sich endlos vor mir auftaten, wenn ich nur an den Rückweg dachte, würden schon ihren Aufwand benötigen…

Ich durchsuchte weiter die Umgebung, aber konnte immer noch nichts finden. Der Zugang war vermutlich versteckt worden. Auch sah das Kloster sehr baufällig aus, als würde es niemand mehr benutzen. Der Eingangsbogen allein war schon ziemlich zerfallen. Vielleicht gab es auch keinen Zugang hier und das war eben das, was von dem baufälligen Kloster übriggeblieben war?

Nun gut, widerwillig ging ich den Weg langsam wieder zurück. Ungefähr nach 10 Minuten Weg hörte ich plötzlich eine Glocke aus dem Tal! Es war die Glocke gewesen, die dort am Brunnen zu sehen gewesen war… Wer hatte sie geläutet? Dort unten hatte ich niemanden gesehen, außer einem französischen Pärchen, die mir auf der Treppe entgegengekommen waren und gerade zurückgehen wollten. Die waren sicherlich schon wieder in ihrem Auto und auf dem Weg nach Hause. Hatte der Wind die Glocken geläutet? Wohl kaum! Also musste ich einen Zugang übersehen haben… auch wenn ich es mir nicht vorstellen konnte.

Nach 243 Meditationen hatte ich den Rückweg geschafft und saß wieder in meinem Auto. Ich schwitzte nun doch ein wenig und griff gleich zur Trinkwasserflasche und nahm einen großen Schluck. Hmm… wer hatte die Glocke geläutet? Sollte ich noch einmal hinunterlaufen und nachsehen? Nein, so dachte ich mir, nur aufgrund einer läutenden Glocke wollte ich den ganzen Weg nicht noch einmal auf mich nehmen. Ich startete den Motor und fuhr wieder in die Stadt…

In Kolympari angekommen, dachte ich…: Und wer hatte eigentlich die Kerzen angezündet?

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