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Staatenlos: Tief im Norden Kretas (Teil 12)

Reisefieber und staatenlos

‚Staatenlos‘ ist eine neue Rubrik, in der ich Artikel von meiner Reise durch Europa verfasse, über die Abenteuer, die auf mich warten und mit Fotos und Videos untermalt werden. Diese Artikel erscheinen nicht immer auf der Hauptseite! Also immer wieder mal auf der linken Seite auf diese Kategorie klicken und nachschauen, ob ein neuer Artikel, ein Foto oder Video veröffentlicht wurde…

Heute nahm ich mir vor, eine der nördlichen Spitzen Kretas zu erkunden. Also stieg ich kurzerhand ins Auto und fuhr über Kolympari Richtung Afrata. Von dort aus hoffte ich, irgendeine befahrbare Straße zu entdecken, die mich mal bis ins Grüne beförderte. Wieso ich da nun hinwollte, nun, das ist mir eigentlich nicht klar, aber ich dachte mir, manchmal muss man auch einfach losfahren und schauen, wo es einen hinführt…

Kolympari liegt sehr nahe bei Kissamos, einer Industriestadt, die auch interessant anzusehen ist, aber den Charme von Chania oder Rethymnon erreicht sie bei Weitem nicht. Doch die Umgebung ist recht einsam und man kann Orte erkunden, die von Touristen selten in Betracht gezogen werden.

Einkaufen kann man fast überall in diesen Städten. Es gibt unzählige Tante-Emma-Läden und nur wenige Supermarktketten wie „IN.KA“ oder „Carrefour„. Das meiste Obst und Gemüse ist lokal angebaut und daher fast immer automatisch ein echtes BIO-Produkt. Leider hat niemand der griechischen Bauern das Geld, sich für seine Produkte ein BIO-Prädikat zu erkaufen, während ausländische Firmen über das Geld zwar verfügen, aber wiederum kein wirkliches BIO anbieten. Eine verrückte Welt. Jedenfalls sollte man auf Kreta niemals etwas kaufen, das als BIO deklariert wird. Die normalen Produkte, die offen in den Regalen ausliegen, kann man ohne jede Verpackung bedenkenlos einkaufen.


Nach einem leckeren echten BIO-Mahl war ich jetzt also  gewappnet, in eine der nördlichen Spitzen Kretas zu fahren. Je weiter nördlich es ging, desto schöner wurde die Umgebung. Kretanische Steppe mit vielen wilden Ziegen und Schafen, die einen erschrocken anblicken, wenn man durch die engen Straßen bretterte, waren durchaus ein gelungener Genuss. Leider endete irgendwann die asphaltierte Straße und ich sah mich einem unwegsamen Schotterweg gegenüber. Zwar ist mein Auto auch auf Schotterwegen einsetzbar, aber ich war mir nicht sicher, wie sich das auf eine kilometerlange Fahrt auswirken kann, wenn die Reifen dauernd einer solchen Belastung standhalten müssen. Spitze Steine, Schlaglöcher und Baumreste könnten vielleicht zum Problem werden. Mit platten Reifen irgendwo in der kretanischen Steppe zu stranden, war nicht meine Absicht. Ein Blick auf mein Handy…: „Kein Netz!“

Mit null Verbindung zur Außenwelt würde ich bei einer Autopanne sicherlich sehr lange laufen müssen, bis ich wieder Netz bekäme, um eine Werkstatt anzurufen – dachte ich mir. Daher überlegte ich, ob ich umkehren und den Schotterweg und somit eine Weiterfahrt vermeiden sollte. Damit wäre der nette Ausflug direkt hier  beendet gewesen. Das wollte ich nun auch wieder nicht… Also entschied ich mich, todesmutig wie ich bin, trotzalledem ein wenig weiter hinaus in die wilde Natur zu fahren… So fuhr ich noch einige Kilometer gen Norden. Glücklicherweise hatte mein Navi eine Offline-Funktion und so konnte ich zumindest prüfen, an welcher Stelle ich mich ungefähr befand. Nur sehr langsam rückte mein Ziel, das ich ganz spontan ausgewählt hatte, d.h. irgendwo im Grünen markiert, um zumindest irgendeinen Anhaltspunkt zu besitzen, immer näher. 5-10 Minuten pro Kilometer waren dabei üblich.

Nun tauchte nach der nächsten Bergkuppe eine Herde Ziegen wie aus dem Nichts auf. Sie lagen auf dem Schotterweg herum und guckten mich blöd an, als ich vor ihnen zum Stehen kam… Na ja, eigentlich hatte ich es ja nicht anders verdient, denn ich war der Fremde hier, den man auch mal ruhig entsprechend anblicken durfte. Da ich natürlich immer noch nicht bei der Werkstatt gewesen war, um mein Auto durchchecken und den Auspuff austauschen zu lassen, ratterte dieser gerade ein wenig vor sich hin, als ich vor der Ziegenherde stand. Sie fühlten sich sichtlich gestört, erhoben sich und machten mir recht schnell Platz. Ich hielt an und wollte ein Foto von ihnen machen, aber da sie vermutlich noch nie jemanden mit einem Smartphone in der Hand gesehen hatten, waren sie doch sehr verhalten. Kurzerhand hüpften sie von der Straße und retteten sich hinter einem der Büsche. Von dort schauten sie mich misstrauisch an. Ich machte ein kurzes Video von ihnen und beschloss, weiterzufahren.

Ein Stückchen weitergekommen, entdeckte ich rechts von mir eine hohe Felswand. Dies war für Kreta nun nicht sonderlich ungewöhnlich, aber was hingegen verblüffend war, war ein Haus, das jemand mitten in den Fels hineingebaut hatte. Es sah irgendwie verrückt aus und hätte in Deutschland sicherlich keine Baugenehmigung erhalten, aber hier war es möglich geworden. Eine schöne weiße Mauer umringte das Haus. Wie verrückt müsste es nur sein, in einem Haus mitten in einer solchen Felswand zu leben? Das wirkte schon ziemlich spannend und beflügelte die Fantasie. Ich blieb kurz stehen und überlegte, ob man vielleicht irgendwie dort hinkommen könnte, aber entdeckte leider keine Zufahrtsmöglichkeit. Das Haus war auch mehrere Kilometer entfernt und ich hätte gewiss Stunden zu Fuß benötigt, um dort hinzugelangen. Da ich ein anderes Ziel hatte, beschloss ich, einfach weiterzufahren.

Nach ein paar Kilometern fiel mir auf der linken Seite eine seltsame Steinplatte auf. Auf den ersten Blick sah sie aus wie das Dach eines Bunkers. Ich hielt an und stieg aus. Das wollte ich mir einmal näher ansehen… Es war eine recht große Betonplatte mit einer Länge von 12-15 m und einer Breite von vielleicht 3 m. Auf der Platte selbst befanden sich zwei viereckige Metallplatten, die man anheben konnte. Unter einer der Platten blitzte ein Schlauch hervor, der keine zwei Meter lang war. Irgendwie wirkte dies wie das Dach eines Bunkers, aber wer sollte so etwas in der Einöde errichten? Der Sinn wäre doch völlig verfehlt gewesen. Es sei denn, es war ein geheimer Zugang zu einer unterirdischen Anlage, aber auch dies schien mir unlogisch, denn dann wäre dieser sicherlich besser getarnt gewesen. Also stand ich davor und überlegte, wofür diese Vorrichtung gedacht war.

Als ich es ein paar Mal umrundet hatte, fiel mir zusätzlich noch ein längliches Becken auf, das vielleicht 1 m breit und 6 m lang war. Das Ganze schien mir sehr mysteriös zu sein und ich fand keine direkte Erklärung für diese Anlage. Kurzerhand stellte ich mich auf die Betonplatte und hob mit Kraft einen der Metalldeckel an, um hineinzublicken. Es war sehr dunkel im Inneren, aber ich erkannte sehr viel Wasser. Wenn es ein Innenleben in dieser Anlage gab, dann stand dieses höchstwahrscheinlich ziemlich unter Wasser. Als ich den rostigen Deckel wieder schloss, ertönte ein lautes Quietschen. Man, die Schaniere mussten aber mal wieder geölt werden!

Wenige Augenblicke später vernahm ich plötzlich ein lautes „MÄÄÄH!“, aber in zigfacher Ausführung! Ich blickte nach rechts und da erkannte ich, wie eine Horde Schafe hinter einem Hügel hervorkam und wild angerannt kam. Es waren sicherlich dreißig oder vierzig Stück, aber die meisten blieben zurück. Nur eine kleine Vorhut rannte weiter und mähten wild… Sie rannten wirklich wie die Verrückten auf mich zu… aber mit einem Mal blieben sie abrupt stehen. Das Leitschaf hatte wohl befohlen, dass die ganze Mannschaft stehen zu bleiben hatte…

Jetzt erkannte ich zumindest den gegenwärtigen Sinn dieser Anlage! Das Becken vor der Anlage war eine Tränke und mit dem Schlauch wurde das Wasser aus dem Inneren dort hineingeleitet, damit die Schafe etwas zu Trinken bekamen. Auf Kreta regnet es eben ziemlich selten und die Tiere mussten regelmäßig getränkt werden. Somit war deutlich geworden, dass diese Anlage eine Art Brunnen war. Na, von wegen geheimer Bunkerzugang, verborgene Aliens oder militärischer Außenposten! Was immer dies einst gewesen war, nun war es eine Schaftränke.

Die Schafe mähten noch vor sich hin, trauten sich aber nicht näherzukommen, da ich vermutlich nicht so aussah wie ihr Besitzer. Interessanterweise erkannten sie aus 50 m Entfernung, dass ich ihre Tränke nicht mit Wasser gefüllt hatte. Vermutlich benötigte man dafür noch den Anschluss einer kleinen Pumpe, die ich nirgendwo entdecken konnte, andernfalls hätte ich ihnen eine Runde spendiert…

Ich stieg wieder in meinen Wagen und fuhr weiter. Die Schafe schauten mir verwundert hinterher. Fragezeichen ploppten über ihren Köpfen wie Seifenblasen auf und zerplatzten… zumindest schien es mir für einen kurzen Augenblick so.

Ich fuhr noch einige Kilometer weiter, bis ich plötzlich einem Schild gegenüberstand. Es verwies auf ein Kloster, das in einigen Kilometern Entfernung, vermutlich mitten im grünen Bereich der Landkarte, aufzufinden war. Gern hätte ich mir dieses Kloster einmal angesehen, das so weit hier oben im Norden einsam herumstand… aber ich kam Bedenken. Der Weg wurde nun noch unwegsamer und war vielmehr für einen Jeep oder ein Quad gedacht, aber nicht für meinen Wagen, der glatte Straßen bevorzugte. Auch war ich jetzt nicht sicher, in welchem Zustand sich meine Reifen befanden. Es waren durchaus gute Allwetterreifen, doch ich war schon viele tausende Kilometer damit gefahren. Ich beschloss deshalb, umzukehren und vielleicht mal mit einem Geländefahrzeug zurückzukehren. Für heute hatte ich also einiges gewagt und dem sollte auch genügen. Also drehte ich um und wollte den Weg wieder zurückfahren, den ich gekommen war. Doch nach nur einem halben Kilometer entdeckte ich auf der linken Seite ein verlassenes Steinhaus. Ich war sehr überrascht, denn auf dem Hinweg hatte ich dieses Haus nicht gesehen, obwohl es auf einer Anhöhe stand. Es war also für Menschen auf dem Hinweg sehr gut getarnt gewesen. Abermals stieg ich aus und ging hinauf zu dem Haus.

Die Umgebung war sehr schön. Sand, Felsbrocken und Büsche kamen hier am meisten vor. Ich lief auf das Haus zu und es war tatsächlich verlassen worden. Das Dach war teilweise leicht eingebrochen und es gab mehrere Löcher an der Außenwand, es fehlten die Fensterscheiben und es wirkte, als sei es bereits tausend Jahre alt. Vielleicht war es früher ein Außenposten gewesen, um Meldung zu machen, falls jemand aus dem Norden kam und versuchte, ins Land einzudringen oder es war einfach eine Familie gewesen, die über mehrere Generationen hier gelebt hatte, um der Zivilisation fern zu bleiben. Es gab mehrere Erklärungen, wie ich in diesem Moment fand. Im Haus entdeckte ich vom Grundriss her ein großes Wohnzimmer, zwei Schlafräume, eine Küche, einen großen Keller und eine sehr große Terrasse, die mit einer Mauer aus  aufgetürmten im Halbkreis aufgestellten Felsgestein aufgebaut war. Diese Mauer wirkte schon ein wenig militant, wie ich fand, aber war gleichzeitig hübsch anzusehen.

Auf dem Boden entdeckte ich unzähliges Schaf- und Ziegenkot. Offenbar verschanzten sie sich hier bei strenger Hitze, um etwas Schatten zu haben oder bei Sturm Schutz genießen zu können. Außerdem entdeckte ich dort eine dicke Holzplatte, die den Weg zu den Kellerräumen verdeckte. Ich hob den Deckel an. Eine Steintreppe führte nach unten. Ich stieg auf die erste Stufe und leuchtete mit dem Smartphone ins Innere. Dort gab es nichts Besonderes zu entdecken, auch schien mir diese Treppe höchst instabil und stieg nicht hinunter.

Als ich mich im „Wohnzimmer“ noch ein wenig umsah, entdeckte ich mehrere Knochen, die dort herumlagen. Laut meines unfachmännischen Verstandes, was eben die Biologie von Knochen betrifft, ging ich davon aus, dass es sich um eine verweste oder auch gründlich abgeknabberte tote Ziege handelte, die ich hier entdeckt hatte. Der Eindruck erhärtete sich doch ein wenig, als ich einen Ziegenschädel fand, der mich mit hohlen Augen anblickte. Irgendwie besaß er eine richtige Faszination. Ich hob ihn auf und schaute ihn mir an. Dann legte ich ihn auf die Fensterband und ließ es mir nicht entgehen, diesen im geeigneten Winkel zu fotografieren. Na, ich hoffe, das Foto vermittelt ein wenig von der Faszination blanker Schädel…

Okay, Biologe bin ich nun keiner… vielleicht war es auch ein geflohener Alien, der hier Zuflucht gesucht hatte und dann von hereinrennenden nach Schutz suchenden Ziegen und Schafen sinnlos überrannt wurde… Wer weiß das schon? Doch ging ich erst einmal von einer Ziege aus… einer recht kleinen Ziege vielleicht.

Ich genoss noch ein wenig die Stille und die schöne Umgebung. Sie strahlte, trotz der Knochen, solch einen Frieden und eine Ruhe aus, dass es förmlich dazu einlud, sich irgendwo hinzusetzen und zu entspannen.

Irgendwann erhob ich mich und ging zu meinem Auto zurück. Treu wie eh und je hatte es auf mich gewartet und ich setzte mich hinein. Das Wetter war mit seinen 25 Grad und Sonne optimal für solche Erkundungen gewesen, doch nun war es an der Zeit, wieder zurückzukehren. Es war ein schöner Ausflug gewesen und während ich nach Hause fuhr, dachte ich über die Familie nach, die in diesem Haus gewohnt hatte… Wer waren sie und warum waren sie gegangen? Wieso war der Schutzwall des Hauses ins Landesinnere gerichtet? Was befand sich ganz oben im Norden?

Später recherchierte ich ein wenig und konnte herausfinden, dass man mit dem Schiff an die nördliche Spitze fahren konnte und der dortige Strand ziemlich gute Bewertungen besitzt. Natürlich gab es dort noch viel mehr zu sehen als nur dieser nette Geheimtipp für Schwimmen und Schnorcheln. Vielleicht würde ich irgendwann zurückkehren und mir auch dort die Gegend ansehen. Immerhin bleiben die Fragen unbeantwortet…

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