Der Weg zurück – Teil 2
Dream to Reality
Eine Kurzgeschichte von © Jonathan Dilas
Ich saß entspannt in meinem Sessel und schaute nach draußen durch die große Fensterfront, welche die ganze Wand meines 90 qm Wohnzimmers einnahm, auf die Terrasse und in den Garten. Draußen war es dunkel geworden, schwere Wolken nahmen das Tageslicht fort. Ein Sturm kam auf. Dicke Regentropfen klatschten bereits an die Fenster und auch auf meinen Teppich. Starke Windböen spielten mit den Vorhängen und ich dachte nicht darüber nach, dass mein schöner Teppich nun nass wurde, dachte aber dennoch daran, die Terrassentüren gleich zuzuschieben.
Draußen standen eine Frau und ein Mann. Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt und versuchte sie zu wärmen. Zuerst glaubte ich, es sei ein Pärchen, dass sich bei mir unterstellen wollte, aber dann erkannte ich sie wieder. Es waren meine Begleiter. Ich wusste, wenn sie kamen, ging es wieder darum, ein weiteres Stück zurück zu gehen.
Oft hatte ich versucht in ihre Gesichter zu schauen und mir zu merken, wie sie wirklich aussehen, aber es gelang mir nie. Nun hatte ich sie deutlich vor mir, aber ich wusste, wenn sie gegangen waren, würde ich ihre Gesichter wieder vergessen.
Ich erhob mich und ging zu ihnen auf die Terrasse. Es war wieder Zeit. Sie drehten sich zu mir um und lächelten mir zu. Ich wusste ohne Worte, dass sie gekommen waren, um mich hier herauszuführen. Die schöne Zeit in meiner wundervollen Wohnung war vorbei. Ich hatte die Freunde, meinen Luxus und diese stürmischen Herbstabende stets geliebt, doch nun war es an der Zeit, diese Kulissen hinter mich zu lassen. Ja, das waren sie, Kulissen. Ich drehte mich noch einmal um und schaute mir alles genau an.
Die Bilder an den Wänden, mein Lieblingssessel, der japanische Tisch, der Fernseher, der Schrank, meine privaten Erinnerungsstücke aus der Vergangenheit, Geschenke von Freunden, die Pflanzen, all das waren Teile einer Kulisse, die Inszenierung eines Rollenspiels, eines Theaterstückes: mein Leben.
Ich drehte mich um und schaute meine Begleiter an. Unsere Kommunikation war stets spärlich, aber dafür intensiv. Wir wussten, dass wir nun versuchen mussten, diese Kulisse und unsere Rollenspiele hinter uns zu lassen. Ich verließ mit ihnen meinen Garten, mein Haus, mein Boden, ohne die Terrassentüren zu schließen.
Der Sturm hatte unglaubliche Maße angenommen. Die Bäume bogen sich im Wind, dicke Äste flogen unberechenbar durch die Luft. Wir fanden Schutz in einer Höhle.
Höhle? In der Nähe meiner Wohnung gab es keine Höhlen. Meine Begleiterin lächelte mich wissend an. Sie gab mir zu verstehen, dass sie den Wind gesehen habe und dass er ein Wesen sei, das gekommen war, um uns den Ausgang aus den Kulissen zu zeigen.
Ich drehte mich um. Die Höhle war dunkel, aber man konnte sehr gut sehen, wenn sich die Augen daran gewöhnt hatten.
Nachdem wir einige Zeit ins Innere gelaufen waren, bot sich unseren Augen ein irreales Bild: Vor uns befand sich eine riesige, leicht unebene, raue Wand. Sie stand nicht völlig aufrecht vor uns, sondern sah aus, als sei sie nach hinten abgefallen, so war sie eigentlich ein Weg, der eine Steigung von vielleicht 60-70% besaß – nahezu wie ein Häuserdach.
Die Höhe dieser Wand war von hier unten nicht auszumachen, musste aber mindestens an die 100-120 Meter besitzen, denn so weit konnte ich sehen. Die Breite der Wand war nicht so leicht auszumachen, weil man eindeutig sah, dass wir eigentlich nur einen Ausschnitt dieser Wand sehen konnten, denn sie ging jenseits der Höhlenwände weiter.
Mein Begleiter schaute mich an und ich wusste augenblicklich, dass wir diese Wand bezwingen und hinter uns bringen mussten.
Der Aufstieg begann. Zu Anfang ging es leicht, ich krabbelte die Wand hoch und konnte mich sehr gut an herausragenden Steinen festhalten. Meine Begleiter versuchten den Aufstieg rechts von mir, er war mir am nächsten.
Schritt für Schritt erklommen wir die abgesenkte Wand und nach vielleicht zwei- bis dreihundert Metern wurde der Aufstieg zwar steiler und beschwerlicher, aber es kam eine Hilfe: uns fielen viereckige Löcher auf, an denen wir uns hervorragend festhalten und immer wieder ein Stück weiterziehen konnten.
Diese Löcher besaßen zum Teil metallische Gitter und waren gerade so groß, dass eine Katze hindurchgepasst hätte. Einmal schaute ich in eins dieser Löcher, aber ich sah nur Dunkelheit. Anscheinend ging es dort tief hinunter oder es waren einfach nur dunkle Löcher. Den Sinn dieser ganzen Löcher verstand ich nicht.
Kurz schoss mir ein Bild von einem Schuhkarton durch den Kopf, in dem ich einmal eine Maus gehalten hatte, den Deckel hatte ich mit Löchern versehen, damit die Maus atmen konnte.
Da! Als ich meinen Kopf hob, sah ich das Ende der Wand. Langsam zog ich mich weiter hoch, weil ich sehen wollte, was es auf der anderen Seite zu sehen gab. Meine Hand suchte nach einem weiteren Loch. Ja, ich fand eins. Es war größer als die anderen. So groß, dass ein Mensch problemlos hindurchgepasst hätte. Zuerst wollte ich aber über das Ende der Wand hinausblicken und sehen, was mich dahinter erwartete…
Vor mir erstreckte sich der weitere Verlauf der Höhle. Jetzt erst fiel mir dieses seltsame, erdbraune Licht auf, in das alles getaucht schien. Mein Blick glitt tiefer und nun sah ich, dass sich eine weitere Wand auf der anderen Seite befand, nur dass sie diesmal nach unten führte. Es war ein Dach! Ich rief es zu meinen Begleitern hinüber, dass wir auf einer Art Dach herumklettern würden, einem übergroßen Dach, dass es somit eigentlich ein gigantisches Gebäude ist!
Sodann konnte ich eine Unruhe bei meinen Begleitern fühlen. Sie schienen erschrocken und ich meinte das Wort Gefängnis zu vernehmen.
Plötzlich rutschte ich ab. Ich war unachtsam gewesen, hatte keinen stabilen Halt und rutschte nun einige Meter nach unten. Zum Glück konnte ich wieder in eins dieser Löcher greifen. Langsam zog ich mich wieder hoch und versuchte meinen linken Fuß in einem der Löcher zu verankern. Das Loch an dem ich mich hatte festhalten können, war eins dieser großen viereckigen Öffnungen.
Ich dehnte meinen Körper so, dass ich meinen Kopf hineinstecken konnte. Licht! Ich sah Licht! Das Licht bot mir einen atemberaubenden Anblick. Jetzt konnte ich ganz deutlich sehen, dass diese Öffnung mehrere hundert Meter in die Tiefe ging. Auch sah ich, dass dieses Gebäude aus mehreren Stockwerken bestand.
Es wirkte nun so, als wenn man von ganz oben ein Treppenhaus hinunterschaut und einen recht guten Einblick auf die Stufen besitzt. In diesem Fall sah ich keine Stufen, sondern hatte Einblick auf leere Räume. Betonboden. Kalt. Helles braun. Mit der Atmosphäre eines Treppenhauses, aber es war auf jeden Fall keine menschliche Einrichtung und nur geringfügig mit dem Aufbau eines normalen Hauses zu vergleichen.
Mein Begleiter hatte einen losen Stein aus der Wand herausgebrochen und wollte damit Zeichen geben. Er meinte, dass wenn es ein Gefängnis für Menschen sei, gewiss jemand aufgewacht sei und auf sein Zeichen antworten würde. Tatsächlich. Kurz nachdem er mehrere Male auf eins dieser metallischen Gitter geschlagen hatte, bekam er Antwort. Es klang so, als ob jemand einen Becher an Gitterstäben entlang zog. Im gleichen Moment hörten wir ein fürchterliches Brüllen, wie von einem Raubtier, vielleicht einem Löwen.
Seine Gedanken waren plötzlich in Aufregung. Ich fühlte, wie er einer Wahrheit immer näher und näher zu kommen schien, einer schrecklichen Wahrheit…
Er bat mich weiter in das Loch zu schauen, an dem ich mich festhielt. Mittlerweile hatte ich eine optimale Position finden können, damit ich nicht wieder abrutschen konnte.
Ich blinzelte mehrmals mit den Augen, damit ich noch mehr Details wahrnehmen konnte, aber alles schien gleich fremd zu sein im Inneren des Gebäudes, doch plötzlich sah ich einen Schatten. Ich hörte einen spitzen Schrei, den meine Begleiterin ausgestoßen haben musste. Wir alle sahen nun das gleiche.
Der Schatten bewegte sich nun langsam zu der Öffnung auf seiner Etage und blickte hoch. Es war ein mir völlig fremdes Wesen, es strahlte wild und ungebändigt aus. Auf den ersten Blick sah es wie ein übergroßer, aufrecht stehender Hummer aus, das eine bleiche, ockerfarbene Haut besaß. Die Arme besaßen keine Scheren, sondern schienen vielmehr die eines Oktopus zu entsprechen. Riesige und lange Fangarme. Sie züngelten förmlich umher, als suchten sie Berührung.
Diese Arme hätten niemals einen Menschen verletzen können, dafür waren sie zu dünn und wirkten zu schwach, sie schienen mehr auf Berührung aus zu sein, auf Kontakt. Es widerte mich an. Mir wurde nicht schlecht, aber dieser Anblick stieß mich in meinem Inneren ab. Es war unerträglich. Plötzlich blickte das Wesen zu mir auf und brüllte wieder los. Es hatte mich entdeckt!
Angst besaß ich keine, weil es sich mindestens 30-40 Meter tief befand, auch konnte ich mir aufgrund der Beschaffenheit dieses Gebäudes und der Höhle nicht vorstellen, dass es einen Zugang zu uns gab, außer dass man sich in eins dieser Öffnungen gestürzt hätte.
Doch völlig unerwartet ging das Wesen in die Hocke und setzte zu einem unglaublichen Sprung an. Es raste mir entgegen und ich sah sein Gesicht, wie es näher und näher kam. Die Arme züngelten wild umher und mein Gesicht wäre gewiss das erste gewesen, was sie zu fassen bekommen hätten, wenn ich nicht ausgewichen wäre. Ich hatte meinen Kopf sofort zurückgezogen. Das Wesen verfehlte die Öffnung nur um zwei oder drei Meter, eines seiner Fangarme schien mich nur um wenige Zentimeter verfehlt zu haben. Ich sah noch, wie er danach am Rand der Öffnung nach Halt gesucht hatte, aber der einzelne Arm zu schwach war, um sich dort festhalten zu können. Es war ein grausiger Moment.
Als mein Mut zurückkehrte, steckte ich wieder meinen Kopf in die Öffnung. Ich sah, wie ein zweites Wesen ins Licht trat und zu mir aufblickte. Sie hatten erkannt, dass wir zu weit oben waren, als dass sie uns hätten erreichen können. Mir schien auch, als hätten wir eine fürchterliche Entdeckung gemacht und sie nicht wollten, dass dies jemals jemand erfuhr. In ihren Augen sah ich die klare Entschlossenheit, uns dazu zu bringen, dieses befremdende Geheimnis für uns zu behalten.
Wir erklommen das Ende der Wand und bereiteten uns auf den Abstieg an der anderen Seite vor. Der Abstieg sollte wesentlich schneller und einfacher verlaufen. Als wir unten ankamen, wandte ich mich an meine Begleiter.
»Sollten wir diesen Menschen nicht helfen?«
»Nein. Das können wir nicht.«
»Aber sie quälen sich. Sie sind gefangen. Sie wollen befreit werden.«
»Nein, sie wissen überhaupt nichts davon. Es geht ihnen gut.«