Der Zeitreisende
[Dream to Reality]
(Ein Traum wird zu einer Kurzgeschichte – von © Jonathan Dilas)
Ich kam in dem Moment zu mir, als ich mit einigen Leuten einen Waldweg entlang ging. Ich erkannte zwei Männer und zwei Frauen, mit denen ich die Natur genoss. Wir unterhielten uns.
Ein Mann hatte mein Interesse geweckt, denn unter all den altmodischen Leuten war er der Einzige, der sich Gedanken über die Möglichkeit des Zeitreisens machte.
Wir philosophierten auf diesem Spaziergang miteinander und es kam für ihn zu interessanten Einsichten. Ich entschloss mich dazu, ihm einen indirekten Tipp zu geben, damit ihm vielleicht auffiele, dass ich selbst einer dieser unantreffbaren Zeitreisenden war. Vielleicht war ich sogar seinetwegen hierher gereist, denn irgendwie schienen mir einige Erinnerungen zu fehlen. Ich trug sogar einen braunen Lederrucksack, von dem ich im Moment keine Erinnerung besaß, was sich in ihm befand, noch, wann ich ihn gepackt hatte.
»Das Zeitreisen halte ich fürwahr für möglich, ebenso die Existenz vieler Zeitentore. Hier in unserem Dörflein bin ich mit Gewissheit der Einzige, der dies so betrachten mag. Viele sind hier sehr einfache Geleut’ mit höchst simplen Gedankengängen. Es ist ihnen nur wichtig, ihre Ernte zu sichern und auf dem Felde zu arbeiten, doch solche Möglichkeiten zu besprechen, damit wollen sie nichts zu tun haben. Ich bin der Tor deshalb anhier.«
Die anderen Personen, die uns begleiteten, schienen seine Worte völlig zu überhören. Es kam mir so vor, als bemerkten sie seine Worte gar nicht, so wie man sich an das Zierpen von Grillen oder an Glockengeläut gewöhnen kann, wenn man es immer wieder hört.
»Wie kommt Ihr denn zum Schlusse, dass es möglich sei, durch Zeitentore zu reisen? Drängt Euch eine Frage hierzu?«, wollte ich von dem interessierten, jungen Mann wissen.
»Es gibt derweil noch viel Widerspruch, bei der das Zeitreisen mit logischem Problem einkehrt. Wenn ich zum Exempel in die Vergangenheit reise und Euch eines Fingers beraube, so müsste er an eurer Hand frisch fehlen, wenn ich denn wiederkehre. Das uns begleitende Volk sähe in diesem Moment dann, wie sich Euer Finger vor seinen Augen auflöse? Dies erscheint mir sehr spekulativ.«
»Nicht schmälern wollt‘ ich Euer Wissen, wohl aber es erweitern, wenn ich frage, wie ihr zu dieser These gelangtet.«
»Ich habe einst ein Tor auf einem Felde erblickt. Es war vielleicht nur bedingt ein Zeitentor, aber ich habe meine Gedanken bemüht, es möge eines gewesen sein. Seit da an sinne ich darüber nach und es lässt mich gar nicht mehr los«, sagte er und schaute zum Himmel auf, als suchte er einen Vogel oder einen Stern.
»Nun gut, mein Herr, wohlan, so bin ich wahrlich der Auffassung, dass ihr im Rechte seid mit Eurer Annahme. Auch ich schaute einst ein solches Tor.«
Überrascht sah er mich an. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet und sein Missmut verschwand augenblicklich. Mit freudig strahlendem Gesicht griff er freundschaftlich an meine Schulter.
»Fremder, Ihr seid mein Gast, so lange Ihr es wünscht. Und mich deucht, es wär’ wohl mählich an der Zeit, nach einigen Spezereien Ausschau zu halten. Folgt mir.«
Ich verstand dies als eine Einladung in sein Haus und nach einem kleinen Einkauf auf dem Dorfmarkt gingen wir zu ihm.
Er lebte sehr schlicht und sein Haus war spartanisch eingerichtet. Ein großer, alter Holztisch diente als Ess- und Gesellschaftstisch mit einigen alten Stühlen davor. Doch war er im Besitz eines selbst gebauten Regals mit Büchern. Einige von ihnen wirkten sehr alt und interessant. Die Beleuchtung war recht dunkel und während ich mir einen Stuhl aussuchte, um mich zu setzen, stellte er mir schon seine Frau vor. Sie trug ein langes, braunes Kleid und band sich gerade ein weißes Tuch um den Kopf, damit ihre langen Haare nicht ins Essen fallen konnten. Eine schwarze Kordel hatte sie um die Taille geschwungen, die ihre Figur betonte. Sie begrüßte mich zwar freundlich, aber sie wirkte ein wenig vorsichtig.
»Mögen der Herr einen maurischen Bohnensud?«
Für einen kurzen Augenblick hatte sie ihre Augenbrauen zusammengezogen und auf meine Kleidung geschaut. Ich entsprach vielleicht nicht gerade der momentanen Mode. Wenn ich mir dazu meinen neuen Freund anschaute, der nun eifrig nach Metkrügen suchte, musste ich seiner Frau zustimmen.
Nach einigen Minuten saßen wir zusammen am Tisch und wollten unser Gespräch fortsetzen.
»Sprecht, wie war Eure Wahrnehmung von dem Zeitentor? Glaubt Ihr indes, dass es eines war?«, fragte er mich.
»Ich denke gar schon. Es schaute aus wie eine Tür aus hellem Lichte und wenn man länger hineinblickte, so erfasste man manchmal den Ort, wohin das Tor führte.«
»Hier, Herr, trinkt Met«, rief er begeistert und schenkte mir einen Becher voll. Es schwappte einiges über. Danach erklärte er mir aufgeregt und mit puterrotem Kopf, dass er genau die gleiche Wahrnehmung erlebte, als er das Tor sah.
»Dann behielt ich all die Jahre vollends Recht! Dies wird die Geleut’ hier in unserem Dorfe endlich aufrütteln.«
»Haltet ein, mit Verlaub, dies glaube ich nicht. Die meisten Menschen sind für solche Gedanken noch nicht bereit. Für sie ist es Ungemach, es ängstigt und peinigt sie, sie möchten nicht, dass sich ihr Leben ändert. Sie sind vollends zufrieden mit ihrer Wahl, solange sie genügend Nahrung haben und ein liebenswerter Buhle an ihrer Seite weilt. Demgemäß sollten wir es vorziehen, nur unter uns weiter zu forschen.«
Er wiegte seinen Kopf hin und her. Ich hatte den intuitiven Eindruck, dass er irgendwem etwas beweisen wollte. Das würde noch einiges an Überzeugungsarbeit kosten, dachte ich.
Stunden später hatte er sich ein wenig beruhigt und er war sehr zufrieden aufgrund meiner Kommentare und Bestätigungen jener Gedanken, die er sich gemacht hatte.
»Wenn ich Euch gar recht verstehe, Herr, dann ist es mir durchaus möglich, in die Vergangenheit zu reisen, mir flugs Euren Finger zu nehmen und wenn ich denn zurückkehrte, so wäret Ihr nur mit neun Fingern zugegen, nur mit dem kleinen Unterschiede, dass ich mich dann in einer alternativen Welt befände und Ihr in einer abermals anderen noch Euren Finger behieltet?«
»Der Herr hat es erfasst«, antwortete ich.
»Nun denn quält mich noch die Frage, diese alternative Welt von der Ihr spracht, wo befindet sie sich? Ihr sagt, dass diese Welten zur gleichen Zeit existieren und ihre Zeitenlinie stets nur inwennich des Systems von Bedeutung sein möchten, doch auswennich dessen nicht. Wie können sie bereits existieren, wenn sie doch noch nicht geschehen und beeinflusst sind? Zu sagen wünsche ich, woher weiß diese befremdliche alternative Welt, dass ich Euren Finger entwendet habe? Ist dies ein Los des Schicksals, das alles vorherbestimmt oder woher die Lösung?«
»Wenn all diese Welten zu gleicher Zeit existieren, dann könnt Ihr auswennich dieser die jeweilige Welt frei überschauen, denn jenseits vom Raume und der Zeit sind Anfangs- und Endzeitpunkt gleichermaßen. Ein Weg, den Ihr zurücklegen müsst, ist bereits zurückgelegt, wenn Ihr nur an ihn denkt. Somit ergibt sich fürwahr, dass Eure Reise in die Vergangenheit, um Euch frech meines Fingers zu bemächtigen, bereits vollzogen ist, sobald Ihr diesen Plan gefasst. Jede dieser fremden und unbekannten Welten sind von Gottes Hand reputierlich geschützt und wenn Ihr die Zeitenlinie beeinflusst, gebiert Ihr eine neue Welt mit einer neuen Zeitenlinie.«
Er hatte meinem kleinen Vortrag aufmerksam zugehört und versuchte zu verstehen, was ich ihm mitzuteilen gedachte. Für wenige Momente schien es mir, als verstünde er, doch dann wieder verdunkelte sich sein Blick und Zweifel keimten in ihm auf. Hätte er das Zeittor nicht schon einmal gesehen, hätte er mich vermutlich für den Narren gehalten.
Ich beschloss, jetzt einmal in meinen Rucksack zu schauen, vielleicht fand ich dort einen Hinweis, wieso es mich zu ihm verschlagen hatte.
Als ich ihn öffnete, entdeckte ich einen kleinen silbernen Kasten. Ich holte ihn heraus und stellte ihn auf den Tisch. An einer Seite des Kastens gab es eine kleine Öffnung, die so etwas wie eine Kameraöffnung zeigte. Es schien meines neutechnischen Verständnisses her eine Art Digitalkamera zu sein. Mit einigem Suchen fand ich den Einschaltknopf.
Wie elektrisiert sprang mein Gesprächspartner auf und war kreidebleich im Gesicht. Dieses silberne Kästchen war ein Projektor mit einigen abgespeicherten historischen Büchern, Romanen, wissenschaftlichen Arbeiten und vielem mehr. Gerade wurde Goethe an die Wand projiziert und sorgte für einiges Aufsehen. Die Frau meines Gastgebers kam nun auch herbeigelaufen, um sich das Wundergerät anzuschauen.
»Ist dies Hexenwerk?«, fragte sie sofort.
Er schaute mich mit großen Augen an, die ebenso fragend dreinblickten.
Ich wusste selbst nicht genau, was es für ein Gerät war, aber aufgrund meiner Kenntnisse konnte ich es mir schnell zusammenreimen. Es schien eine Art Projektor oder Mini-DVD-Player zu sein.
»Nein, edle Dame, dies ist eine gar wunderliche Erfindung, und kein absonderlich Hexenwerk, die mit in sich verwobenem Lichte arbeitet. In diesem Kästeleyn sind gar tausend Pergamente und klein Bildleyn. Ein kleines Rädleyn nimmt sie und vergrößert sie an dieser Wand. Kein Zauberwerk, sondern neueste Wissenschaft.«
Ich hoffte damit eine plausible Erklärung für die beiden gefunden zu haben.
Kurz darauf klopfte es an der Tür und es kamen zwei Frauen ins Haus und begrüßten mich. Sie sagten mir, dass sich die Ankunft eines Fremden im Dorf herumgesprochen hätte und sie mich nun unbedingt kennenlernen wollten. Doch ihr Blick fiel unmittelbar nach der Begrüßung auf das Gerät, das ich gerade eingeschaltet hatte. Ihre Augen weiteten sich. Ich versuchte ihnen zu erklären, worum es sich hierbei handelte, aber sie wehrten ab und verließen das Haus ebenso schnell, wie sie gekommen waren.
»Nun habt Ihr aber für Aufregung gesorgt«, sagte mein freundlicher Gastgeber leise und setzte sich an den Tisch. Ich erklärte ihm das Gerät, bis er selbst die Grafiken und Texte anwählen konnte.
Langsam begriff er, dass dieses Gerät aus einer dieser anderen alternativen Realitäten stammte, die sich sogar noch in der Zukunft befand. In seiner Realität hingegen fühlte man sich sehr an das Mittelalter erinnert, aber gleichzeitig gab es einige Dinge, die es zu dieser Zeit noch nicht gegeben hatte. Ich sah eine Petroleumlampe und auf dem Weg hierhin konnte ich einige Maste mit Drähten entdecken, die auf ein Kommunikationssystem hinwiesen. Vielleicht ein Telefon.
»Mir liegt noch fern zu verstehen, welches Zählsystem Ihr für Eure Zeitenrechnung benutzet. Wir schreiben hier das Jahr 549«, meinte er mit gerunzelter Stirn.
Diese Zeitrechnung konnte auf unsere nicht zutreffen. Vermutlich gab es hier andere geschichtliche Ereignisse, die mit der Zeitrechnung viel später als wir begonnen hatten. Ich war also in einer alternativen Realität gelandet, in der ich anscheinend den Auftrag besaß, diesen Mann in seiner Entwicklung voranzutreiben oder ihm die Möglichkeit zu geben, sich mit jemanden zu unterhalten, der bereits durch die Zeit gereist ist. Doch mir fiel auf, dass ich immer mehr vergaß, dass ich ganz bewusst in diese andere Realität gesprungen war – aus welchen Gründen auch immer.
Erinnerte ich mich an den Anfang meines Zeitsprungs und meine Gewissheit, hier richtig, und nur als Besucher erschienen, zu sein, so verdunkelte sich in meinem Gedächtnis immer mehr, was mir am Anfang so offensichtlich schien. Selbst meine Sicherheit, mein Wissen um die Möglichkeit des Zeitreisens verblasste zusehends. Es war wie ein dunkler Schleier, der sich über meine Ankunft legte, und je mehr ich in dieser Realität erfuhr und je mehr Menschen ich begegnete, desto mehr verblasste das Wissen um den Anfang. Also erklärte ich ihm, so weit ich mich noch erinnern konnte, das Problem alternativer Realitäten und der andauernden Gefahr, einer Amnesie anheimzufallen. Langsam begann er zu verstehen.
Nach dem Essen hatte ich das Gerät bereits wieder vom Tisch entfernt und wir planten am Abend zu dem Platz zu gehen, an dem er das Zeittor gesehen hatte. Plötzlich klopfte es an der Tür. Ein untersetzter Mann in feiner Tracht kam herein und stellte sich mir als der Bürgermeister des nächstgelegenen Dorfes vor. Er sprach ohne Umschweife davon, dass ich mich unbedingt vorsehen sollte, denn das ganze Dorf wüsste bereits von meiner Ankunft und ebenso von meinem Hexenwerk. Er gab mir deutlich zu verstehen, dass er mich nicht beschützen könnte, wenn es zu Ausschreitungen käme.
Ich versuchte freundlich zu sein und dankte ihm für seinen guten Rat. Auch gab ich zu verstehen, dass ich in Kürze wieder meiner Wege ziehen würde.
»Gehabt Euch wohl, Fremder. Auf dass Ihr eine gute Reise haben werdet«, waren seine letzten Worte und der edle Herr verließ das Haus.
»Mir dünkt, Ihr habt Euch nun wirklich in Schwierigkeiten gebracht. Und mich grämt, meine Wenigkeit ist nicht ganz unschuldig an diesem Los. Was kann ich für Euch tun? Seid Euch gewiss, ich vertraue Euch mein Leben an und das meines Weibes, auch wenn sie noch verlegen dreinblicken mag«, meinte mein Gastgeber und setzte sich wieder.
»Grämt Euch nicht, mein Freund«, entgegnete ich. »Wir werden ein wenig harren, bis sich das Volk beruhigt haben möge, dann ziehen wir los zu Eurem verwunschenen Ort.«
In der Abenddämmerung gingen wir schnell zu dem Platz, an dem er das Zeittor entdeckt hatte. Wir gingen gerade auf einen Hügel zu.
»Dahinter ist es«, rief er. »Dort ist eine große Wiese und ein Feld. Da habe ich das Zeitentor geschaut.«
Kaum hatten wir den Hügel erklommen, bot sich uns ein ganz anderes Bild als erwartet. Bestimmt das halbe Dorf stand zum Fuße des Hügels auf der anderen Seite. Sie hatten sich versammelt, um uns zu empfangen.
Zuerst glaubte ich, dass dies nun eine sehr gefährliche Situation werden könnte, aber ein Mann aus dem Pulk kam auf uns zugelaufen. Er trug einen aufwändigen Hut mit einer großen Feder, spitze braune Schuhe, fast wie ein Gaukler, und begrüßte mich auf herzlichste Art.
»Oh, Meister der Zeit. Es ist mir eine Freude, Euch hier zu erblicken. Verzeiht meinen gar seltsamen Habitus, doch wir haben Euch erwartet. Wir sind gekommen, um Euren Worten zu lauschen.«
»Ist all das Geleut’ wegen mir hergeeilt?«, fragte ich noch einmal nach, doch es war bereits offensichtlich.
»Ja, Herr! Mannig aus unserem Dorf haben von Eurem Wunderwerk erfahren und die dunklen Geschichten von dem seltsam Zeitentor stets bezweifelt, doch nun endlichst geglaubt. Einige andere jedoch, wie unser werter Bürgermeister und seine kleine Schar, lehnen Eure Anwesenheit zutiefst ab. Jedoch sind wir bereit, Euren Empfehlungen unbeirrt Folge zu leisten, sei es, was es wolle«, entgegnete er.
Danach nahm er seinen Hut auf theatralische Weise von seinem Kopf und schwenkte ihn im weiten Bogen, um sich auch noch tief zu verbeugen.
Wir gingen gemeinsam auf die Menge zu und der Redner war davon überzeugt, dass es gut wäre, wenn ich eine Ansprache hielte. Wir gingen einen kleinen Hügel hinauf und wie intuitiv geplant, folgte uns die Menge an Frauen und Männern, teilweise mit Kindern, und setzten sich zum Fuße des Hügels auf den Boden. Voller Erwartung blickten sie nun zu uns dreien hinauf, wie wir uns berieten.
Nun stand ich dort oben, auf dem kleinen Hügel der großen Wiese. Sie verstanden es nicht, wie ich in ihre Zeit gekommen war, auch wussten sie nicht, und in dem stand ich ihnen in nichts nach, wieso ich gekommen war und mich gerade an den Mann des Dorfes gewandt hatte, der stets unbeirrt an die Existenz eines Zeitentores glaubte. Für diese Menschen, die ihr Leben lang die Ahnung besaßen, vielleicht sogar die innere Gewissheit, dass es mehr im Leben eines Menschen gab als das Arbeiten auf dem Feld, die Ehe und die Nachkommenschaft, war nun ein Stern aufgegangen und ob ich nun wollte oder nicht, entweder trat ich gleich jetzt meine Flucht an oder ich sprach zu ihnen, um sie mit Hoffnung und neuem Wissen zu füllen.
Als ich das erste Mal zu einer Ansprache ansetzte, fiel mir erneut auf, wie viel ich bereits vergessen hatte. Manchmal tauchten sogar schon kleine Zweifel auf, die in Frage stellten, ob ich denn wirklich ein Zeitreisender aus der Zukunft sei. War es überhaupt die Zukunft gewesen? Vielleicht war dies alles nur Einbildung?
Die Zweifel bewegten sich noch leise am Rande meines Bewusstseins. Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir noch blieb. Ich glaubte für einen kurzen Moment zu erahnen, dass diese Vergesslichkeit ganz normal ist, wenn man durch ein Zeittor reist und dass unglaublich viele Menschen diese Reiseform einst nutzten. Mir blieb in diesem Moment nichts anderes übrig, als das wartende Volk anzusprechen… einfach intuitiv… aus dem Bauch heraus.
»Meine Freunde«, rief ich der Menge entgegen. »Ich bin wahrlich und fürwahr durch ein Zeitentor zu Euch gedrungen, um Euch zu sagen, dass Gott mehr als nur eine Welt erschuf. Seine Macht und sein unbegrenztes Wissen beschränkten sich niemals und keineswegs auf die Schöpfung nur einer Welt, in der Ihr zu leben gewohnt seid! Er ist zuhöchst großzügig gewesen und hat unsere Welt mit reichlich Nahrung und Wasser erfüllt, eine sich selbst versorgende Welt erzeugt und uns Menschen in sie hineingesetzt. Ein jeder von Euch ist befähigt, seine Welt zu nutzen und sein persönlich Umfeld so zu formen, wie er es ersehnt. Ihr könnt die Wege wählen, die sich Euch bieten oder sie geschwind verwerfen. Ebenso könnt ihr den Buhlen nehmen, den Ihr wähltet und Ihr dürft ein friedliches und erfülltes Leben zu einem gelungenen Ende führen, wenn Ihr es wirklich wünscht. Es gibt keine Kraft, die Euch dazu zwänge, ein Leben zu führen, das voller Leid, Schuld und Missgunst sei. Ihr habt immer die Wahl. Und ich drehte am großen Schicksalsrad und beschloss zu Euch zu kommen, nur ,um Euch davon zu berichten, dass es mehr in Eurem Leben geben möge als Eure Arbeit auf dem Felde und die Liebe mit ihrer Ehe und dem ganzen Verlauf. Auch Ihr könnt wieder zu Reisenden der Zeit werden, zu Welten gelangen, die Euch gar wunderlich in Erstaunen versetzen werden. Und wer sich von Euch berufen fühlt, dies magische und große Abenteuer anzunehmen, der möge sich auf meine Seite stellen und mit mir an der Möglichkeit des andauernden Reisens forschen. Wählt Euren Plan jedoch mit Bedacht, denn Ihr könntet in Welten vordringen, die gefährlich oder zutiefst unfreundlich sind, aber auch in Welten, die so unfassbar schön und entwickelt sind, dass es Euch den Atem verschlägt. Fremde Welten und unbekannte Wesen, seltsame Tiere und unbegreifliche Pflanzen, neue Glaubensrichtungen. Wesen, die Gott näher zu sein scheinen, als es uns jemals gelang oder jene, die ihn sogar meiden wollen. Wir können es nicht im Voraus erahnen, doch wir müssen für alles gerüstet sein.«
Hier war ich nun, gestrandet in einer fremden Welt mit geringer Technologie, eine Agrar-Realität mit mittelalterlichem Gedankengut, mit schwindender Erinnerung an den Beginn und den Zweck meiner Reise sowie mit der Gefahr, in Kürze alles um meine ursprüngliche Person vergessen zu haben. Mit welcher Technologie oder gelungener Geisteskraft ich auch immer an diesen Ort gesprungen sein mochte, ich wusste nicht mehr um den Weg zurück.
Ich war wirklich gestrandet, wie ein Überlebender eines gesunkenen Schiffes, der sich auf eine kleine Insel retten konnte, mit einer unheilvollen Amnesie befallen. Doch, wenn ich ein wenig näher darüber nachdachte, erging es all den anderen Menschen, die nun am Fuße dieses Hügels meinen Worten lauschten, nicht anders. Auch sie konnten eines Tages, vielleicht sogar als Gruppe oder ganzes Dorf, in dieser Realität gestrandet sein. Sie vergaßen nur den Sinn ihrer Reise und dass sie über die Möglichkeit verfügten, überhaupt Realitäten wechseln und bereisen zu können. Somit war ich vielleicht nur in ihre Fußstapfen getreten und vielleicht für immer in ein weiteres Habitat Gottes eingetreten.