‚Staatenlos‘ ist eine neue Rubrik, in der ich Artikel von meiner Reise durch Europa verfasse, über die Abenteuer, die auf mich warten und mit Fotos und Videos untermalt werden. Diese Artikel erscheinen nicht immer auf der Hauptseite! Also immer wieder mal auf der linken Seite auf diese Kategorie klicken und nachschauen, ob ein neuer Artikel oder Foto oder Video veröffentlicht wurde…
Am anderen Morgen beschloss ich, einmal in den Athener Nationalpark zu gehen. Immerhin sagt man solchen Parks Unheimliches nach, z.B. dass dort immer wieder Menschen verschwinden.
Doch als ich dort ankam, muss ich sagen, der Park war wirklich nicht sonderlich groß. Das Verschwinden eines Menschen wäre hier von zu vielen beobachtet worden. Also musste man sich hierüber an diesem Ort vermutlich keine Sorgen machen. Doch ich muss ein Lob an die dortigen Mücken aussprechen! Die deutschen Mücken hört man bereits auf drei Meter Entfernung herankommen, aber die Athener Mücken sind derart lautlos und verstohlen, dass man sie überhaupt nicht bemerkt. Ganz plötzlich hat man einen Mückenstich und die Übeltäterin ist weit und breit nicht aufzufinden. Sicherlich an die zwanzig Stück dürfte ich mir dort eingefangen haben, wobei 10% davon derartig groß waren, dass ich diese mit einer 10-Euro-Gedenkmütze sicherlich nicht hätte kühlen können.
Dennoch ist der recht kleine Park interessant, denn viele Menschen gehen dorthin und setzen sich auf die Bänke, um die Ruhe zu genießen. Ein kleiner Teich und ein Brunnen mit feinstem Sprühregen zieren die Mitte des Parks. Wieso jedoch der Park teilweise von bewaffneter Miliz umgeben war, ist mir nicht deutlich geworden. Mich nicht unbedingt daran störend, so möchte ich unbedingt erwähnen, ist mir ein seltsames Geräusch immer wieder in den Bäumen aufgefallen. Ich war überzeugt, es hier mit einem exotischen Vogel zu tun zu haben, denn sein zirpenartiger Sound war schon höchst auffällig, aber immer, wenn ich in das Blattwerk eines Baumes hineinschaute, konnte ich diesen interessanten Vogel nicht entdecken. Manch einer wird an dieser Stelle vielleicht über meine jugendliche Naivität lachen, aber erst nach einer ganzen Weile erkannte ich, dass dieser äußerst lautstarke Vogel überhaupt keiner gewesen war, sondern eine so genannte Zikade. Dabei handelt es sich um eine Art Riesengrille, die mal locker 5-6 cm groß sein kann. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass eine „Grille“ ein derartiges lautes Organ vorweisen kann! An einem der Bäume konnte ich plötzlich eine dieser Zikaden erkennen und sie filmen und fotografieren.
Sie machte einen Höllenlärm, zumindest schien es mir auf den ersten Hörer so. Außerdem sonderte sie während ihrer Soundeskapaden eine honigfarbene Flüssigkeit am Schwanzende ab. Dazu fragte ich mich doch allen Ernstes, ob diese denn auch nach Honig schmecken würde, wenn ich sie probierte…
In der Bibel, so wurde mir mitgeteilt, soll das israelische Volk in der Wüste gehungert haben und plötzlich seien Schwärme an Zikaden herbeigeflogen und versorgten das hungernde Volk mit Zikadenhonig. So durfte ich erfahren, dass es auch „Imker“ gibt, die Waldhonig bzw. Honigtau von Zikaden sammeln und in Gläsern abfüllen. Bisher habe ich noch kein Glas in Athen finden können, das ich mal öffnen und den Inhalt hätte probieren dürfen, aber wenn mir eines begegnet, werde ich es sicherlich wagen.
Zikaden sitzen in Athen, und überhaupt in fast ganz Griechenland, in den Bäumen und geben regelrechte Konzerte. Sie klingen wie die deutschen Grillen, nur viel lauter und eindringlicher. Da sie in Griechenland sehr häufig vorkommen, sind sie bei den Griechen für ihre Konzerte nicht sonderlich beliebt. Viele Griechen fluchen über die Geräuschkulisse, die die Zikaden erzeugen kann. Doch was nicht nur die Griechen nicht wissen, sondern viele andere Menschen ebenfalls nicht, ist, dass Grillen und Zikaden eine ganz andere Zeitwahrnehmung als wir Menschen besitzen. Sie nehmen die Realität viel schneller als wir wahr. Man vermutet, dass sie 200 Bilder pro Sekunde verarbeiten können, während wir nur mit 25 Bildern daherkommen. Aus dem Grund muss man sich einmal vorstellen, dass Grillen und Zikaden auch Geräusche anders wahrnehmen und vor allem anders ausdrücken als wir Menschen. Das Grillenkonzert ist somit nicht für Menschen gedacht, sondern nur für ihre eigene Spezies.
Wenn sich also Grillen und Zikaden einfach nur unter sich treffen und miteinander singen wollen, dann müsste man ihre Wahrnehmungsgeschwindigkeit unter genau diesen Punkten berücksichtigen, damit man als Mensch mit den „Ohren“ und der „Geschwindigkeit“ der Grillen und Zikaden zuhören kann…
Genau dies hat sich bereits der Tonforscher und Musiker namens Jim Wilson überlegt. Er hat das Gezirpe von Grillen aufgenommen, dann um das 20fache verlangsamt, zudem ein wenig gefiltert und in der Tonhöhe angepasst, sodass man als Mensch das Konzert der Grillen viel besser wahrnehmen konnte. Ich war völlig hin und weg, als ich das Ergebnis hörte! Es war so beeindruckend, dass es mich fast vom Stuhl gehauen hätte. Nun konnte ich sehr gut verstehen, warum sich Grillen und Zikaden jeden Abend immer und immer wieder treffen, um gemeinsam Musik zu machen! Wenn ich ihre Musik so wahrnehmen würde, wie sie es offensichtlich gut hinbekommen, wäre ich ebenfalls jeden Abend mit von der Partie!
Als sich Jim Wilson in einem Interview mit einer gewissen Miss Hunt befand und er ihr die Musik der Grillen vorspielte, erklärte sie:
„Als ich die Nachricht bekam, dass mir jemand Musik von Grillen vorspielen wollte, dachte ich nur: Oh mein Gott! Ich interviewe jemanden, der mir Grillengezirpe vorspielt! Doch als sie mir vorgespielt wurde, war ich so beschämt und peinlich berührt, weil ich so überheblich gewesen war. Jim Wilson hatte die Grillenmusik in seinem Hinterhof aufgezeichnet und verlangsamte sie nur, ging ins Studio und passte nur noch die Soundhöhen an. Und als ich es mir dann anhörte, nahm ich einen gut trainierten Chor wahr! Es war eine Steigerung im Chor zu vernehmen, ein Intervall und dann ein weiterer Chor und es ging höher und höher. Ich glaubte, Grillenworte zu vernehmen, von denen ich dachte, ich könne sie verstehen und sie kehrten in ihrem Chor wieder zurück zum Anfang. Ich glaube, wenn die Menschen wissen, wie Grillenmusik wirklich ist, würden sie diese mit anderen Augen sehen. Der Chor ist wie ein Fluss, ein Chanting, eine heilende Geschichte, eine, die von Urzeiten handelt und vergessen wurde. Sie beinhaltet den Geruch und Geschmack von Gräsern und sind wie ein Gebet an Gott auf eine Weise, wie es immer wieder getan wird. Ein Gefühl der Wärme, der Klang von Stimmen…“
Der berühmte Sänger Tom Waits reagierte auf die Grillenmusik wie folgt: „Es ist eine mysteriöse und wunderschöne Aufnahme von Grillenmusik. Als ich sie das erste Mal hörte, ich schwöre, ich dachte, ich höre mir gerade eine Aufnahme vom Wiener Knabenchor an oder lauschte einem Mormonenchor. Er wies eine vierteilige Harmonie auf, es ist ein chorales Panorama. Plötzlich kommt eine Stimme herein und ich dachte nur: Das Ding ist doch manipuliert worden, aber das Einzige, was tatsächlich verändert wurde, war die Höhe und die Geschwindigkeit. Die Musik ist solch ein Ohrwurm! Ich spielte es meinem Freund Charlie Musselwhite vor und er schaute mich an, als hätte ich gerade eben einen Leprechaun aus meiner Tasche gezogen!“
Die MP3 ist vom Album „Medicine Songs“ von David Carson und der Band Little Wolf, produziert von Jim Wilson. In jedem Fall ist diese Grillenmusik hochgradig heilend… Doch was rede bzw. schreibe ich hier vor mich hin, gewiss ist nun der eine oder andere Leser gespannt darauf, zu hören, wie Grillen ihr eigenes Konzert wahrnehmen…
Grillenmusik – Hier klicken (bei Soundcloud)
Im Original, bei Amazon erhältlich, klingt dies noch viel eindrucksvoller und schöner. Eine unvergessliche, heilvolle und schier unglaubliche Musik.
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Quellen:
Gods Chorus of Crickets by Jim Wilson
Interview Tom Waits
Hearing Voices Interview
Huffington Post
Grillentöne um 800% verlangsamt
Grillen klingen wie Menschenstimmen