Das Testament der Götter

jonathan dilas testament der götter - kurzgeschichten religiös

Das Testament der Götter

Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel)

(Aus dem Jonathan-Evangelium)


Seine Erinnerung an die Niederkunft der Götter am Flusse Kebar schien ihm noch so nah, während seine Freunde immer wieder mit Bedacht darauf hinzuweisen pflegten, dass dies doch nun schon seit so vielen Jahren zur alten Geschichte zählte. Vielleicht war sein Publikum nicht ehrfürchtig genug und so berichtete er immer wieder den neugierigen Kindern von seinen Erlebnissen.

Er erinnerte sich in aller Deutlichkeit an den Abend der Offenbarung, als der ganze Himmel aufriss und dies leuchtende Objekt in seiner ganzen Herrlichkeit niederkam. Es setzte mit Getöse und leuchtenden, sich bewegenden Augen, die wild umherrasten und sonnenähnliche Kegel zu Boden warfen, auf dem Boden. Ganze Felsen zerbarsten unter dessen Gewicht und Steine schossen pfeifend gefährlich nah an den bisher wenigen Beobachtern dieser ganzen Szenerie vorbei, zu der er sich stets zu wähnen wusste.

»Was geschah weiter, Meister Hesekiel?« fragte eins der Kinder voller Erstaunen und mit glänzenden Augen, in denen sich Hesekiels gutmütiges Gesicht spiegelte.

»Mit einem lauten Knall erloschen die wilden Augen und es wurde dunkel und still. So verweilte das Objekt für eine lange Zeit an seinem Platze. Ihr wollt mit Sicherheit wissen, wie das Gefährt Gottes aussah, oder?«

Die Kinder nickten eifrig und ihre Wangen wurden vor Aufregung rot.

»Es war unglaublich riesig und aus glänzendem Silber, wie das Metall eines königlichen Schwertes, nur noch feiner und es spiegelte den Mond bezaubernd schön. Am unteren Teil war es kupferfarben und das größte Getöse kam durch eine riesige Öffnung, manchmal mit Feuer und manchmal mit Nebel und Rauch, wie der heiße Atem eines Drachens. Aus vielen Teilen des Landes kamen die Menschen herbeigeeilt, um dieses seltsame Objekt zu schauen. Mit allzu großer Vorsicht neigte ein jeder dazu, nur mit Bedacht auf das Objekt zu deuten. Niemand getraute sich, zu nah heranzutreten oder es gar zu berühren. In der Stille der Nacht hörte man nur ein leises Surren, als würde es wie eine Grille sanft nach einem Weibchen flehen.«

Hesekiel lehnte an einer von der Sonne aufgewärmten Lehmwand und die Kinder hatten sich in einem Halbkreis sitzend vor ihm versammelt. Er war für sie des Öfteren ein Lehrer und Geschichtenerzähler zugleich, denn seine Berichte von den Begegnungen mit den Göttern entsprachen allesamt der absoluten Wahrheit und es gab keinerlei Zweifel im ganzen Lande, dass ihm all das widerfahren war. Die zweifelnden Menschen waren jene, die niemals auf die Götter oder deren Gefährte gestoßen waren. Er wusste, dass diese Geschichte noch in Tausenden von Jahren berichtet werden würde und er hoffte inständig, dass sie niemals vergessen wird.

»Sag uns, wie sie aussahen!« schrien die Kinder.

»Nun habt doch Geduld!« entgegnete er und alle lachten. »Aber nun gut, so soll es sein. Nach vielen Tagen langen Wartens öffnete sich ein Tor in der Mitte des riesigen Gefährts und daraus kamen zugleich vier Götter, die sehr seltsam aussahen. Sie waren auf den ersten Blick wie Menschen, so wie wir, aber ihre Füße waren die Hufen eines Stieres und aus glänzendem Metall. Sonderbare Schuhe kann ich euch sagen, liebe Kinder.

Es war mir so, als rollten sie auf unsichtbaren Rädern. Und sie besaßen menschliche Hände, so wie wir, aber mit längeren Fingern und langen dunklen Fingernägeln. Ihre Hände waren eingebunden in vier Flügel, die weit von ihren Schultern abstanden und mit denen sie fliegen, aber auch ihren Körper schützen konnten. Sie bewegten sich so schnell, wie ihr Blitze am Himmel kommen und verschwinden seht.

Das Seltsamste allen Seltsamen ist, dass sie Tierköpfe besaßen, sodass ich anfangs glaubte, sie seien die Könige der Tiere, die vom Himmel zu mir herabgekommen waren. Ich sah einen Adler, einen Löwen, einen Stier und einen Menschenkopf, den jeder von ihnen trug und mit denen sie in alle Himmelsrichtungen blicken konnten. Doch mich blickte stets ein menschliches Gesicht an, das zwar schneeweiß war mit leuchtenden, blauen Augen darin, aber menschlich. Sie konnten ihren Kopf so drehen, dass mich einmal ein Mensch und dann wieder ein Tier anschaute, so wie auf einem Mühlrad festgemacht.

Und in dem Moment verstand ich, dass sie Götter waren, denn sie konnten fliegen und trugen auch unser Aussehen, das sie uns gegeben hatten, als sie die Menschen erschufen. Sie leuchteten befremdlich und kleine Blitze gingen von ihnen aus. Es hat lange gedauert, bis ich endlich erkannte, dass diese nur ein Abbild von dem waren, die sie wirklich sind. Sie waren wie ausgesandte Traumbilder, die sich vor meinen Augen manifestierten und das durch eine Kraft, wie sie nur ein Gott besitzen konnte. Es sprühte Funken und diese kleinen, zuckenden Blitze umgaben diese Wesen. Als sie auf mich zukamen, um mich zu begrüßen, fiel ich vor Ehrfurcht auf die Knie.

Ich zitterte am ganzen Körper und hoffte, dass ich in meinem Leben immer ein guter Mensch gewesen bin, denn sie wirkten gleich, als ob sie mich allein durch ihren Blick töten konnten. Und als sie sich bewegten und ich mich aufzuschauen getraute, da sah ich, wie ihre Flügel sich empor hoben und den Sand vom Boden aufwirbelten und als sie vor mir zum Stehen kamen, glitten diese Flügel hinab und berührten den Boden.

Mein Blick ging über ihre Köpfe hinaus und ich sah oben in der silbernen Scheibe eine durchsichtige Wand, hinter der ein in der Tat befremdliches Wesen saß, aber im nächsten Augenblick verwandelte es sich in einen Mann, der den Menschen bis aufs Haar glich. Die Götter vor mir schienen diesem Mann zu gehorchen und sie traten zur Seite, als der Mann dort oben zu mir sprach. Er saß dort droben wie in einer Kanzel oder einem Ausguck, von dem er alles überblicken konnte. Als seine ersten Worte meine Ohren erreichten, donnerte und toste es um mich herum und seine Stimme schien von überall her zu kommen.

Er sprach seltsame Dinge, die ich nicht verstand und erklärte mir, dass seine geflügelten Wesen seine Untertanen sind, die alles ausführen werden, was er ihnen befiehlt. Er sprach: »Ich habe dich auserwählt, Hesekiel, damit du hinaus zu den Israeliten gehst und ihnen sagst, dass sie sich meiner nicht entziehen können! Sie gehören mir und ohne meinen Schutz sind sie nicht mehr sicher und können sterben. Gehe hin und sage ihnen, dass sie verstockt und dumm sind, dass sie sich gegen mich verschworen und somit gesündigt haben! Das lasse ich nicht ungesühnt, das kannst du mir glauben!«

Ich war voller Angst vor seiner Kraft und seinen Schergen, dass ich in diesem Moment alles für ihn getan hätte. Dann verschwanden seine Untertanen so schnell, wie sie gekommen waren, und es erschien eine große Hand aus dem leuchtenden Feuer mit den Blitzen. Sie reichte mir eine Rolle, die ich essen sollte. Wisst ihr, Kinder, ich aß sie in einem auf und es schmeckte wundervoll süß. Ich glaube, sie war getränkt in einem süßen Saft. Plötzlich verwandelte sich mein Gesicht! Es bekam die gleiche wulstige Stirn wie die der Israeliten und das gleiche harte Gesicht, wie das ihrige. Gott hatte mich zu einem von ihnen gemacht! Seine Kraft, müsst ihr wissen, ist unfassbar und unerklärlich, aber ich habe sie am eigenen Leib gespürt. Ich konnte mein Gesicht fühlen und ich erschrak.

»Nun geh zu ihnen, du Mensch, und sage ihnen, dass sie sterben werden, wenn sie nicht gehorchen. Ich werde sie zu Fall bringen, sodass ihre Leiber in der Wüste verrotten. Nur wer meine Warnung erhört, dem schenke ich sein Leben!«

Hesekiel räusperte sich, als wollte er es für die Kinder noch spannender machen, denn nun kam der nächste unglaubliche Teil seiner Geschichte:

»Und dann sagte er mir, ich solle mich dreihundertneunzig Tage auf die Seite legen und träumen, all das träumen, was er mir gerade aufgetragen hat. Und er fügte mit tiefer, donnernder Stimme hinzu:

»Ich wollte dir erst Kot zum Essen geben, denn du hast es nicht anders verdient, aber ich gebe dir Brot mit Kuhmist. Das entspricht dir. Und den Israeliten werde ich das ganze Brot wegnehmen, sodass sie in Reue auf Knien zu mir zurück gekrochen kommen. Sollen sie doch in ihrer Schuld verschmachten! Ich werde dir ein Pulver geben und wenn du es ins Feuer wirfst, dann wird es das ganze Dorf verbrennen! Sie sollen leiden für ihren Ungehorsam und ihre Weigerung, meine Gesetze nicht anzuerkennen. Sie haben auf mich zu hören, diese bedauernswerten, menschlichen Kreaturen! Denn so wahr ich lebe, ich werde auch dich vernichten, deine Rasse mit Pest und Hunger strafen.«

Kinder, er sprach von leben! Er sagte, so lange er lebe! Ich habe in diesem Moment ein wenig daran gezweifelt, dass er Gott ist, denn der Herr ist unsterblich und kann weder leben noch sterben, aber seine Magie und Kunst waren so beeindruckend, dass er nur der Herr sein konnte. Ich habe wirklich mit mir gerungen! So fürchtete ich seine Strafe, denn ich wusste, dass er meine Gedanken kannte und dass er mich sehr schnell auslöschen konnte. Nun standen auch seine Schergen wieder dort und ihre Flügel bewegten sich drohend, als warteten sie nur auf seinen Angriffsbefehl. Ich hätte ihnen nichts entgegensetzen können. So fuhr der Herr fort:

»Ich werde meine Wut und Zorn an ihnen auslassen. Das lasse ich mir nicht gefallen, dieses nichtsnutzige Pack! Gehe hin zu ihnen und mache denen ein Zeichen auf die Stirn, die sich nicht zu den Verrätern zählen, alle anderen werde ich töten.«

Ich schaute dann mit Gehorsam in meinen Augen zum Herrn auf und ich sah, wie er nun auf einem Thron saß, der umgeben war von smaragdgrünem Licht, das keine Quelle zu haben schien. Er gab mir sodann kohlenförmige Steine, die leuchteten und strahlten. Er sagte mir, dass ich sie in Jerusalem verteilen solle, damit das Volk später die Pest bekomme. Es war ein großer Zaubertrick des Herrn, der seine Kraft demonstrieren sollte, damit das Volk wieder an ihn glaubt.«

»Was geschah dann, Meister?« fragte eins der Kinder.

»Gott hat all seine Drohungen wahr gemacht. Er war ganz außer sich. Zuerst erkrankten die Israeliten und einige Tage stießen seine Vasallen vom Himmel hinunter in die Stadt und töteten noch viele weitere. Danach lagen Hunderte von Leichen in den Straßen und verwesten. Niemand traute sich mehr vor die Türe zu gehen, weil sie um ihr Leben fürchteten. Er hat sie allesamt, bis auf wenige von ihnen, töten lassen.

Ich bin noch am gleichen Abend zu seinem Gefährt geeilt und habe mich davor auf die Knie geworfen und rief: ‚Herr! Willst du denn alle töten? Das kannst du doch nicht tun!’. Dann wurde ich in sein Gefährt gezogen und er nahm mich mit über die Stadt Jerusalem und zeigte mir, was seine Schergen vollbracht hatten. Danach setzte er mich wieder am Fluss ab und ich ging traurig nach Hause.«

Hesekiel blickte betrübt zu Boden und fühlte sich für einen Moment wieder in diese aufregende, aber auch schreckliche Zeit zurückversetzt, in der Gott seinen ganzen Hass und seine Wut an den Israeliten ausließ, weil sie ihm nur nicht gehorchen wollten.

»Ich hätte mir so gern das ganze Gefährt Gottes einmal angesehen. Es gab Räume, die ich nicht betreten durfte. Ich durfte nur in der Kanzel stehen.«, beendete Hesekiel seine atemberaubende Geschichte von seiner Begegnung mit dem allmächtigen Gott.

»Wer weiß schon, was du dort erblickt hättest, Meister Hesekiel. Vielleicht hättest du mehr gesehen, als du wissen wolltest. Vielleicht ist es gut so, wie es war. So kannst du glauben, was du glauben willst und sehen, was du gesehen haben willst«, sagte die Älteste unter den Kindern und für einen Augenblick glaubte Hesekiel zu verstehen, wieso sich einige der Menschen gegen den Herrn gewandt hatten…

Was Hesekiel während seinem Aufenthalt in dem Raumschiff nicht mitbekam:

»Hast du das Hologramm ausgeschaltet, Uriel?«

»Natürlich, Meister. Dieser Wurm hat geschlottert vor Angst, als wir unsere Projektionen nach unten geworfen haben. Er hatte überhaupt keine Ahnung! Er glaubte doch tatsächlich, das wäre ein Feuer. Ich habe absichtlich viel Strom eingespeist, damit unsere Hologramme auch Wirkung tun und ein wenig brutzelten…«

Lachend schauen die beiden auf die Monitore, die ihnen das umliegende Wüstenland und Jerusalem zeigten.

»Wir werden sie schon dazu bringen, uns zu gehorchen. Du wirst sehen, eines Tages wird es auch hier dunkle Türme geben… in jeder Stadt. An den Türmen werden Glocken hängen, die die menschliche Rasse zu jeder Stunde des Tages immer und immer wieder an unseren Besuch erinnern werden, damit sie so leben, wie wir es ihnen befohlen haben.«

Triumphierend hob ER seinen Kopf, aus seinen Nüstern trat Rauch hervor, der sich langsam im Raum ausdehnte und wabbernd zur nächsten Türritze kroch. Mit schierer Begeisterung in seinen Augen blickte er demütig zum Herrn hinauf.

»Ich liebe Eure Einfälle, Meister, insbesondere dass Ihr euch diesen Planeten ausgesucht habt. Er liegt so fern der Ballungszentren und ist noch nicht aufgefallen. Hier können wir uns so richtig austoben. Heute Nacht werde ich mir einige Frauen auswählen und sie vergewaltigen. Wen kümmert dies schon?«

»Das ist gut so, das vertreibt die Langeweile hier draußen. Nimm doch die anderen drei mit, sie sollen sich auch ein wenig amüsieren. Wie auch immer, wir machen ihnen noch einige Male richtig Angst und dann wird es schon so, wie wir es wollen!«

»Ja, Meister. Und wenn erst einmal in der ganzen Welt Eure dunklen Türme stehen, werden wir wieder eine Welt voller Sklaven zu den unsrigen zählen können. Sie werden Euch aus der Hand fressen! Ich liebe Eure dunklen Türme und Eure weite Vorausplanung.«

»Ja!«, entgegnete der Meister und fügte unhörbar hinzu: »Und niemand wird sich mehr an die Besuche von Anu und Aja erinnern.«, und bezog sich auf eine konkurrierende Rasse aus dem mittleren Sektor der Milchstraße, die vor einigen tausend Jahren schon einmal hier gewesen sein müssen.

»Denk daran, dass du die Lautsprecher morgen noch einmal richtest, damit meine Stimme noch imposanter klingt.«

»Natürlich, Meister. Eure Stimme wird donnern und grollen, wie die eines erzürnten Gottes«

Uriel musste noch in den Maschinenraum, dort befand sich die Posaune. Es handelte sich hierbei um einen Hochfrequenzbeschleuniger, der mit der Kraft eines starken Tones eine halbe Großstadt dem Erdboden gleichmachen konnte, wenn man sie vollständig auflud. Im unteren Bereich gab es noch eine weitere Waffeninstallation, die weite Landflächen mit einem kristallinen Überzug einfror. Sie wollten diese noch für Sodom einsetzen, denn dort gab es die meisten Rebellen. Diese hatten schon bei ihrem ersten Besuch in Babel, als es nur um die Beobachtung ging, einen Turm gebaut, um das Raumschiff zu erreichen. Dies hat natürlich nicht funktioniert und der Meister hat seiner Crew befohlen, den Turmbau aufzuhalten.

Uriel stand nun vor einer älteren Waffenvorrichtung. Sie war eine sehr passive und höchst ineffektive Waffe. Mit dieser war es ihnen möglich, einen Overflow in einem menschlichen Gehirn zu erzeugen, der daraufhin eine starke Verwirrung auslöst. Diese Waffe hatten sie damals eingesetzt, um diese scheinheiligen Turmbauer auseinander zu treiben. Es hatte daraufhin ein heilloses Durcheinander gegeben und seitdem ist diese Waffe nicht mehr angewendet worden.

Uriel setzte sich an ein elektronisches Schaltpult und rekalibrierte das Hologramm für den nächsten Auftritt des Meisters, während er mit einem zufriedenen Lächeln in seinem Gesicht an die schönen dunklen Türme der anderen Welten denkt, die als Folge ihres Besuches von den Bewohnern bereits erbaut wurden, um ihrem einstigen Besuch eine große Ehre zu erweisen, und in naher Zukunft auch auf diesem blauen Planeten wundervoll anzusehen sein werden.


(Aus dem Jonathan-Evangelium – © Jonathan Dilas)

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